Rudi Burger schlägt also eine "neue" Strategie zum Umgang mit zwei Weltkriegen, insbesondere aber mit der Shoah vor: das Vergessen. An sich ist ein solcher Vorschlag weder neu - Österreich hat dies seit 1945 permanent betrieben, empirisch übrigens belegt durch die Arbeiten von zahlreichen Zeithistorikern, beginnend mit Robert Knight, noch, angesichts der intellektuellen Armut, auch nur einer Replik wert. Interessant wird es nur, wenn ein so schwacher Beitrag, der nur eine Fortsetzung der Mölzers und Sichrowskys mit anderen Mitteln ist, von einem Rudolf Burger kommt, der mit Recht als Intellektueller und kluger Kopf gilt. Rudolf Burger ist einer, der in seiner ministeriellen Vergangenheit als Dogmatiker der Kritischen Theorie galt - ein eigenartiges Paradoxon, da an sich die Frankfurter Schule Adornoscher und Horkheimerscher Provenienz Dogmatisierung dem Grunde nach verhindern sollte. (Der Umgang mit Jürgen Habermas, im speziellen mit seiner Habilitation, freilich zeigte, daß dieses Postulat nicht wirklich eingelöst werden konnte). Als Ministerialrat und Abteilungsleiter hatte sich Rudolf Burger oft und gerne auf Jürgen Habermas' "herrschaftsfreien Diskurs" berufen - im besonderen gegenüber Antragstellern, über deren Anträge er zu entscheiden hatte; absurd, aber mit Methode. Wie auch, besondere österreichische Absurdität, seine Habilitation als Beamter der Wissenschaftsverwaltung; in den meisten politischen Systemen würde es wohl als unvereinbar gelten, daß Beamte, die über Fördermittel und Forschungsaufträge zu entscheiden haben, einen Statusvorteil von jenen erwerben, über deren Ressourcen sie (zumindest mit-) entscheiden. Wie auch immer, der essayistische Wert Rudolf Burgers kann nicht in Zweifel gezogen werden. Umso mehr erstaunt es, sein Pamphlet über das Vergessen zu lesen, ein Text, der es elegant schafft, sämtliche antisemitischen Klischees zu evozieren, ohne Juden überhaupt zu erwähnen. Der Artikel operiert in der neuösterreichischen Dialektik, die seit der Waldheim-Debatte Platz greift und die heute von der aktuellen Regierung zur Hochblüte gebracht wurde. Zunächst - ein bekanntes Argumentationsmuster aus der Waldheim-Debatte - baut Burger einen Papp-Kameraden auf: ebenso wenig wie in der Waldheim-Debatte ernsthaft behauptet wurde, Waldheim sei ein Kriegsverbrecher gewesen, ebenso wenig wird heute ernsthaft von einer Kollektivschuld der Deutschen oder Österreicher gesprochen (dies mag, das sei Burger zugestanden, im April 1946, in dem der von Burger mißbrauchte KZ-Häftling Eugen Kogon seine Kritik publizierte, anders gewesen sein). Dann zerstört man das Argument, das ohnedies niemand ernsthaft vertreten hat. Und versucht damit, den eigentlichen zentralen Sachverhalt zu verschleiern: Waldheim seine Kriegsvergangenheit am Balkan und seine nicht ganz unpolitische Reiterei, Burger die Ungeheuerlichkeit der Kriegsverbrechen und der Shoah, des Holocaust. In diesem Sinn ist Burger durchaus die Fortsetzung der Mölzers und Sichrowkys mit anderen Mitteln. Woher aber nun der Vorwurf des Antisemitismus, wo in Burgers Pamphlet nicht einmal von der "Ost-Küste" die Rede ist, geschweige denn von Juden? Man beachte, daß Rudolf Burger das Postulat, niemals zu vergessen, als "archaisch" bezeichnet. Rudolf Burger weiß genau, daß es sich dabei um ein Gebot aus dem Alten Testament handelt und ein zentraler Gehalt des jüdischen Glaubens ist. Das Erinnern, wohlgemerkt, des guten ebenso wie des schlechten. Dabei geht es nicht um Rache oder Unversöhnlichkeit, wie dies den Juden seinerzeit angesichts der Waldheim-Debatte von Gottfried von Eynem und seiner Gattin in einem Profil-Interview unterstellt worden war. Es geht aber sehr wohl darum, sich einerseits der Geschichte zu stellen und andererseits daraus zu lernen. Ich unterstelle Rudolf Burger, von dessen Interesse an der gegenständlichen Frage ich mich in mehreren durchaus amikalen Diskussionen überzeugen konnte, daß ihm der Sachverhalt bewußt ist. Ihm ist die Definition des verstorbenen Gründers des Jewish World Congress (und Herausgeber der Encyclopedia Judaica), Nahum Goldmann's , bekannt, der Judentum als "kollektives Gedächtnis" definiert (Goldmann, Das jüdische Paradoxon, Athenäum Verlag, 3. Auflage 1988). Interessant ist auch, wie Burger mit der Zeitperspektive umgeht: Während ihm alt-testamentarisches Erinnern als archaisch vorkommt, scheinen ihm Beispiele des Gebots zum Vergessen von 403 v.d.Z. aufwärts als modern. Die Beispiele, die er anführt, betreffen übrigens, keine Wunder, äußerst reaktionäre Philosophen wie Cicero, blutige Herrscher und Sklavenhaltergesellschaften - kein Wunder: was für eine lächerliche Vorstellung, man könnte Vergessen verordnen. Reaktionäres Obrigkeitsdenken, das den Begriff des Verdrängens um die physische Gewaltkomponente anreichert. Renard, der französische Nationalist, hat schon um die Jahrhundert-Wende notiert, um eine Nation werden zu können, müsse man sich nicht erinnern, man müsse vielmehr vergessen. Er hat recht, und mit den erkennbaren Folgen: zwei Weltkriege im Geiste des Nationalismus und die Shoah im Geiste des Nationalsozialismus waren die direkte Folge. Vergessen bildet nämlich die Voraussetzung zum Aufbau eines neuen, nationalen "Mythos"; ist es das, was Rudolf Burger will? Ronald J.Pohoryles ist Institutsvorstand des Interdisziplinären Forschungszentrums Sozialwissenschaften Wien und Paris und Universitätsdozent für Vergleichende Lehre der Politik an der Universität Innsbruck