Wien - Trotz der - vermuteten - einfachen Gesetze, die hinter der Physik des Universums stecken, ist unsere Welt reichlich kompliziert. Nach Ansicht des zur Zeit in Wien gastierenden amerikanischen Physik-Nobelpreisträgers (1969) Murray Gell-Mann liegt das daran, dass nicht nur der menschliche Geist, sondern schon viele Phänomene der Quantenwelt unvorhersagbar sind. Die Komplexität nimmt zu, sei aber auch vergänglich. Man wisse, so der Physiker, dass bestimmte Teilchen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit innerhalb einer bestimmten Zeit zerfallen, aber in welche Richtung etwa ein dabei entstehendes Alpha-Teilchen davon saust, sei nicht vorhersagbar. Erst wenn das Ereignis eingetroffen ist, gibt es ein klares Ergebnis. Dabei können kleine - zufällige - Ursachen große Wirkung haben: Gell-Mann spricht daher auch von "frozen accidents" - eingefrorenen Ereignissen. So passierten auch im Zuge des Urknalls zufällige Fluktuationen, die zur Bildung von Materie bis hin zu unserer Galaxie führten. Wir leben in einer Welt zunehmender Komplexität, die im scheinbaren Widerspruch zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik steht, wonach eigentlich die Unordnung zunehmen sollte - aber der Widerspruch sei eben nur scheinbar, so Gell-Mann. Denn die Ordnung könne nur mit einem größeren Maß an Unordnung erkauft werden, das Ganze koste Energie, vergleichbar mit einem Kühlschrank, der den Raum, in dem er steht, nicht abkühlt, sondern erwärmt. Die Ordnung ist - wie die Kälte im kleinen Raum des Kühlschranks - ein lokales Phänomen. Und eines Tages würden auch diese Inseln der Ordnung verschwinden. Derzeit versuchen die Physiker herauszufinden, wie lange ein Proton besteht. Selbst wenn es durchschnittlich zehn hoch 33 bis zehn hoch 34 (das sind Zahlen mit 33 bzw. 34 Nullen) Jahre lebt und dann zerfällt, bleibt von unser Materie in einem Zeitraum von zehn hoch 36 Jahren nicht mehr viel übrig. "Sind erst die Protonen weg, zerfällt die uns bekannte Materie, es gibt nur noch eine Suppe von Elektronen, Photonen, Neutrinos, Antineutrinos, etc.", so der Wissenschafter. Damit ist natürlich auch jedes Leben Geschichte, und selbst die Geschichte ist nicht mehr. Gell-Mann war am Donnerstag Abend Gast bei dem von den Austrian Resarch Centers Seibersdorf (ARCS) veranstalteten "Science Talk - Forscher im Gespräch mit BürgerInnen" in Wien. (APA)