Ende der Achtzigerjahre platzen die Nähte in Titos sozialistischem Jugoslawien. Der Marschall verkörpert die Idee der "Brüderlichkeit und Einigkeit", durch seine charismatische Autorität und die kommunistische Ideologie unterdrückt er alle Anzeichen des Nationalismus im Vielvölkerstaat. Sein Tod 1980 bescheunigt die Entstehung eines ideologischen Vakuums. Das staatliche Selbstverwaltungssystem zerfällt ohne seinen Herrscher. Titos politisches Erbe, ein Staatspräsidium, an dessen Spitze sich die Vertreter von sechs Republiken und zwei autonomen Provinzen jährlich abwechseln sollten, ist den Herausforderungen der neuen Zeit nicht gewachsen. Der mit dem wachsenden Nationalismus heftiger werdende Streit im Präsidium über die Zukunft des gemeinsamen Staates lähmt alle Bundesinstitutionen. Die mehrheitlich von serbischen Offizieren geführte Armee entzieht sich allmählich der politischen Kontrolle. Besorgt beobachtet die Führung der slowenischen und kroatischen Kommunisten die Blitzkarriere eines bisher weitgehend unbekannten Politikers im serbischen Bund der Kommunisten: Slobodan Milosevic. Gekonnt ergreift dieser die Macht in Serbien, die kommunistische Ideologie ersetzt er durch aggressiven Nationalismus. Milosevic redet vom "Völkerkerker" Jugoslawien, in dem die Serben ausgebeutet werden; er verspricht Serbien den alten Glanz zu verleihen und hebt die Autonomie der Vojvodina und des Kosovo auf. Medien, Intellektuelle und die serbische Akademie der Wissenschaften und Künste unterstützen eifrig die großserbischen Ideen des neuen Führers. Der serbische Nationalismus ist nicht mehr zu bremsen. Milosevic will jedoch kein "Großserbien" - er will wie Tito ganz Jugoslawien beherrschen. "Listiger" Milosevic "Immer wieder fuhr ich nach Belgrad in der Hoffnung, dass wir die Verbreitung des Hasses und die Kriege vermeiden, uns über einen Bund unabhängiger Staaten einigen werden können. So ein Bund hätte unser aller Interesse geschützt und uns den Beitritt zur EU zugesichert", schreibt der heutige kroatische Präsident Stipe Mesic, damals Mitglied des jugoslawischen Präsidiums. Doch Serbien und Montenegro zeigen dafür kein Verständnis, stellt er fest: In Belgrad setze man schon auf die "territoriale Vergrößerung Serbiens", Milosevic schüre "listig" die Angst vor "völkermordenden Kroaten", und drohe offen mit Aufstand. Gleichzeitig ruft Milosevic in Serbien zum "Boykott slowenischer Waren" auf, beschuldigt die slowenische Führung des "Hochverrats und Sezessionismus". Das Säbelrasseln in Belgrad macht jedoch Ljubljana und Zagreb keine Angst, im Gegenteil: Als Milosevic nach endlosen Verhandlungen die Idee der Konföderation verwirft, verlassen Slowenen und Kroaten den jugoslawischen Bund der Kommunisten und die Bundesinstitutionen. Slowenien und Kroatien rufen die Unabhängigkeit aus. "Beim eventuellen Zerfall Jugoslawiens setzten wir auf die Einigkeit mit Montenegro. Unser Ziel war es, eine Grenze herzustellen, innerhalb der es zu keinen Kampfhandlungen kommen würde. Außerhalb dieser Grenze würde der Krieg unvermeidbar sein, denn Bosnien würde als einheitlicher Staat nicht erhalten werden", schreibt Borisav Jovic, der damalige Vorsitzende des Staatspräsidiums und rechte Hand Milosevic’ in seinen Memoiren. Bis zu den Nato- Luftangriffen 1999 bleibt Serbien tatsächlich vom Krieg verschont. Und erst nach der internationalen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens definiert Milosevic sein neues strategisches Ziel: "alle Serben in einem Staat". Die Zukunft des gemeinsamen Staates wird in Slowenien bestimmt. Im Juni 1989 lässt US-Außenminister James Baker die slowenische Führung in Ljubljana "offen wissen, dass weder die USA noch sonst jemand Slowenien international anerkennen würde", schreibt der damalige slowenische Verteidigungsminster Janez Jansa. Die USA hätte grünes Licht für einen "begrenzten bewaffneten Eingriff" gegeben, der die Loslösung Sloweniens verhindern sollte. Washington setze auf ein proamerikanisches, einheitliches Jugoslawien. "Wir waren allein auf unseren Willen und unseren Mut angewiesen", stellt Jansa fest. Am 27. Juni 1991 versucht die Volksarmee mit nackter Gewalt die Kontrolle über Slowenien wieder zu erlangen, muss sich aber in mehrheitlich von Serben bewohnte Gebiete in Kroatien zurückziehen. Doch der Krieg ist nicht mehr aufzuhalten. (DER STANDARD,Print-Ausgabe vom 23.6.2001)