Das von Mittelgebirgen umschlossene böhmische Becken ist uralter Kulturboden. Da diese Region zu den nicht vereisten Gebieten gehörte, lässt sich hier menschliche Besiedlung schon vor 50.000 Jahren nachweisen. Die damalige Bevölkerung lässt sich keiner Ethnie zuweisen, sicher ist, dass sie weder slawisch noch germanisch war. Die ersten benennbaren Einwohner waren Zuwanderer, und von ihnen erhielt das Land seinen Namen: Es war das um 400 v. Chr. mächtige Keltenvolk der Bojer, und nach ihm gaben die Römer dem Land den Namen Boiohaemum, woraus sich Bohemia, das deutsche Böhmen, ableitet. Die Bojer wurden noch vor der Zeitenwende von aus dem Norden vorstoßenden Germanen verdrängt; die Markomannen und Quaden (diese saßen in Mähren) machten die Grenze des Römischen Reiches an der Donau Jahrhunderte hindurch unsicher, stießen 169 n. Chr. bis nach Italien vor, mussten sich aber dann den Kaisern Marc Aurel und Commodus als zur Stellung von Hilfstruppen verpflichtete "Klienten" unterwerfen. In der Wanderbewegung, die durch den Hunnenfall nach 375 ausgelöst wurde, verschwanden die Namen dieser frühen germanischen Bewohner; ob die Bajuwaren, die die römische Provinz zwischen Lech und Inn zu besiedeln begannen, Abkömmlinge der Markomannen waren, ist umstritten. Böhmen und Mähren wurde zum Durchzugsgebiet germanischer Stämme, als Letzte verließen die Langobarden das Land. In den offenbar nur noch dünn besiedelten Raum sickerten im Laufe des 6. Jahrhunderts in mehreren Wanderungswellen slawische Stämme ein. Ihre frühe Geschichte ist sagenumwoben. Der um 1040 geborene Cosmas von Prag hat als bischöflicher Sekretär in seinem "Chronicon Bohemorum" nicht nur einen Helden Bohemus als Führer der Landnahme erfunden, sondern auch tschechische Ursprungssagen festgehalten, die von streitbaren Frauen im "Böhmischen Mägdekrieg", von der friedliebenden Libussa und von dem durch sie zur Macht aufgestiegenen Bauern Przemysl berichten, den das erste tschechische Herrschergeschlecht als seinen namensgebenden Ahnherrn bezeichnete. Der Prozess der Herausbildung des tschechischen Volkes vollzog sich in der mehrere Jahrhunderte dauernden Einigung der westslawischen Stämme dieses Gebiets, das zeitweilig unter die Oberhoheit des asiatischen Reitervolks der Awaren geriet und dann zum kurzlebigen Reich des fränkischen Kaufmanns Samo gehörte. Nach der Brechung der Awarenherrschaft durch Karl den Großen bildete sich das Großmährische Reich, dessen Zentrum im slowakischen Nitra und an der unteren March lag. In den Konflikten zwischen diesem und dem Ostfränkischen Reich (aus dem das deutsche wurde) traten böhmische Große einmal auf dieser, einmal auf jener Seite auf. Während Großmähren über die Slawenapostel Kyrill und Method Anschluss an die Ostkirche suchte, ließen sich 845 etliche böhmische Adelige in Regensburg taufen; Abgesandte der "Behaimi" kamen auch zu ostfränkischen Reichsversammlungen. Die Frage der Missionierung Böhmens war eine durchaus politische, weil mit den Oberhoheitsansprüchen eng verbundene. So führten die Mährerfürsten mehrere Missionsfeldzüge gegen böhmische Adelige. Schließlich setzten die ostfränkischen Könige mithilfe des Papstes durch, dass die Verwendung der slawischen Kirchensprache und damit die Mission von Byzanz her untersagt wurde. Böhmen geriet unter den Einfluss Regensburgs und dann unter die Jurisdiktion des Erzbistums Mainz, die Slowakei war infolge des Magyareneinfalls ohnedies um 900 auf Dauer ungarisch geworden. Im Gegensatz zum mährisch-slowakischen Zentralstaat bestand Böhmen auch im 9. Jahrhundert noch immer aus mehreren Stammesherzogtümern; der sich herausbildende Adel nutzte seine Burgen als Verwaltungszentren, um die die ersten städtischen Siedlungen entstanden. Eine fränkische Chronik von 872 spricht von sechs böhmischen Herrschaftsbereichen, ohne deren Gebiete zu umreißen. Andere Urkunden zählen eine ganze Reihe slawischer Stämme zwischen Erzgebirge, Sudeten und Böhmerwald auf. Sein zentrales Siedlungsgebiet in Mittelböhmen trug zweifellos dazu bei, dass der Stamm der Tschechen zum Einigungswerk der verschiedenen Stämme berufen war. Noch unter großmährischem Einfluss war der Tschechenherzog Borzivoj aus dem Geschlecht der Przemysliden um 870 vom Slawenmissionar Methodius getauft worden. Die Verlegung seines Herrschaftssitzes nach Prag, wo auf dem Hradschin eine starke Burganlage errichtet wurde, zeugt von seiner - allerdings von anderen Adeligen bestrittenen - Macht, die er und seine Söhne über große Teile Böhmens ausdehnen konnten. Noch aber hatte sich das Christentum keineswegs durchgesetzt, und rebellische Adelige nutzten oft die Anhänglichkeit der Bauern an den alten Glauben als Waffe gegen christliche Gegner. Der Einfluss der deutschen Bischöfe wuchs, und sie fanden in Borzivojs Enkel Wenzel I. (Václav) einen Fürsten, der mit der Durchsetzung des Christentums seiner Herrschaft eine einheitliche geistliche Grundlage schaffen wollte. Das Problem des zunehmenden deutschen Einflusses spaltete die Przemyslidenfamilie. Auf der einen Seite stand Wenzel mit seiner Großmutter Ludmilla, Tochter eines tschechischen Burgherrn, die ihn im christlichen Glauben erzogen hatte, auf der anderen Seite sein Bruder Boleslav und dessen Mutter Drahomira, eine Prinzessin der damals in Brandenburg siedelnden slawischen Heveller. Wenzel, der für seine Milde gerühmt wurde, fiel 935 angeblich einem Lanzenstich seines Bruders zum Opfer - zusammen mit Ludmilla (die im Auftrag Drahomiras ermordet worden war) hatte Böhmen seine ersten Nationalheiligen. Das Bestehen auf dem Heidentum erwies sich unter Boleslav I. und seinem gleichnamigen Sohn freilich rasch als vordergründige Widerstandsideologie - auch diese Fürsten dehnten bald mithilfe der kirchlichen Organisation ihren Machtbereich aus, und Boleslav II. gründete das dem Erzbistum Mainz unterstehende Bistum Prag. Der um sich greifende Wenzelskult in der Prager Veitskirche - benannt nach dem sizilianischen Heiligen und "Nothelfer" Vitus - trug nicht unwesentlich zum Prestige der Przemysliden bei. Der erste Bischof von Prag war Adalbert/ Vojtech, und das führte zu neuen Konflikten. Adalbert war im ostböhmischen Libice als Spross der Fürstenfamilie der Slavnikiden geboren, die sich bis dahin erfolgreich gegen die tschechischen Einigungsbestrebungen gewehrt hatten. Der Bischof, ein asketischer Mann, der auch die Freundschaft des schwärmerischen jungen Kaisers Otto III. gewann, wurde in Prag angefeindet und musste aus seinem Bischofssitz nach Aufständen gegen ihn fliehen; er wurde auf einer Missionsfahrt 997 von den heidnischen baltischen Pruzzen (Preußen) erschlagen. Inzwischen hatte Boleslav II. die Chance genützt, die Slavnikiden als Rivalen auszuschalten. Deren Fürst Sobeslav war an der Seite von Deutschen und Polen 995 gegen die aufständischen Elbslawen gezogen. Boleslav nützte die Abwesenheit des Heeres zu einem Überfall auf Libice, dabei wurden alle anwesenden Angehörigen des Slavnikidengeschlechts umgebracht. Der überlebende Sobeslav fand in Polen Asyl. Da die Tschechenfürsten nun über das ihnen zugefallene Ostböhmen auch die Hand nach Schlesien ausstreckten, gerieten sie mit Polen in Konflikt. Nun standen einander der Tschechenherzog Boleslav III. und der Polenkönig Boleslaw I. Chrobry feindlich gegenüber. Dabei wurde der tschechische Boleslav, der die Adelsopposition in seinem Land mit ausgesuchter Grausamkeit zu unterdrücken suchte, gezwungen, bei seinem polnischen Widersacher Schutz zu suchen. In der Tat erzwang dieser zunächst die Rückkehr seines Namensvetters nach Prag. Das war aber nur eine Episode in dem Machtspiel des Polenkönigs. Er nützte die Hilferufe der neuerlich bedrängten böhmischen Adelsopposition, fiel in Böhmen ein, nahm Boleslav III. gefangen und ließ ihn blenden. Der Pole machte sich selbst zum Herrscher auch über Böhmen. Die Böhmenherzöge hatten jedoch seit Wenzels Zeiten Tribut an die deutschen Könige entrichten müssen. Boleslaw Chrobry verweigerte dies - es kam zu einem langen Krieg, in dem er schließlich zur Aufgabe Böhmens gezwungen wurde; die Przemysliden kehrten mit Jaromir, dem Bruder des geblendeten und in Polen gefangen gehaltenen Boleslav, auf den Thron zurück. Das Land Böhmen hieß fortan in der Sprache seiner Einiger Cechy. (DER STANDARD-ALBUM, Print-Ausgabe 23. / 24. 6. 2001)