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Foto: Reuters/Abdel Naby
Vor rund 1600 Jahren wurde die ägyptische Küste rund um das Nildelta von einer Reihe Naturkatastrophen heimgesucht. Die Erde bebte, Flutwellen überspülten das Land, das Erdreich begann langsam abzusacken, ganze Städte versanken irgendwann vollständig im Meer. Vor rund zwanzig Jahren beschloss der französische Mathematiker Franck Goddio, sich auf die Suche nach diesen teils nur vage historisch dokumentierten archäologischen Schätzen unter Wasser zu machen. Um diesen herkulischen Kraftakt zu bewältigen, musste er erst quasi zur Übung diverse kleinere Schätze heben, bevor er genug Sponsorenkraft und Erfahrung hatte, um in der Bucht von Alexandria fündig zu werden. Der ehemalige Finanzberater der Vereinten Nationen ortete etwa im philippinischen Meer nur fünf Meter unter der Wasseroberfläche eine chinesische Dschunke, die um 1500 mit einer reichen Ladung Porzellan an Bord gesunken war. Vor Palawan fand er in rund 470 Metern Tiefe das Wrack der 1773 verschwundenen "Royal Captain". Das Schiff aus der Flotte der English East India Company war ebenfalls mit kostbarem Porzellan beladen, Goddio und sein Team bargen die Fracht mittels Mini-U-Boot. Vor zwei Jahren sichtete er Napoleons Flotte auf dem Meeresgrund der Bucht von Aboukir, darunter die "Orient", das Flaggschiff Bonapartes. Die Entdeckung des antiken Königsviertels im Hafen von Alexandria und der Stadt Heraklion sechseinhalb Kilometer vor der Küste sind die bisher bedeutendsten Funde des technisch, organisatorisch und pulicitymäßig außerordentlich talentierten Franzosen. Goddio arbeitet mit modernster Ausrüstung und mit kräftiger finanzieller Unterstützung privatwirtschaftlicher Sponsoren. Er spannt seriöse Wissenschaft und deren Proponenten überaus geschickt mit der Privatindustrie zusammen und zieht aus den Funden medial Nutzen für neue Expeditionen. Jede Mission des geschäftstüchtigen Abtauchers findet in süffig aufbereiteten Büchern und Filmdokumentationen Niederschlag, kaum je wurde Archäologie so gekonnt vermarktet wie von Goddio und seiner Foundation. Nichtsdestotrotz gelten die aus dem Meer vor Ägypten geborgenen Artefakte in der Fachwelt als sensationell. So meint Manfred Clauss, Professor für Alte Geschichte der Universität Frankfurt: "Die bisherigen fantastischen Ergebnisse erlauben erste Einblicke in die Geschichte einer wahrscheinlich vor mehr als 1000 Jahren versunkenen Stadt. Angesichts der Tatsache, dass die antiken Schriftquellen so wenig über Heraklion-Thonis mitteilen, ist buchstäblich jedes einzelne Fundstück, ist jede Information für Ägyptologen, Althistoriker und Archäologen hoch willkommen." DER STANDARD fragte bei Goddio nach, wann und in welcher Form die Artefakte der Öffentlichkeit gezeigt werden. Franck Goddio: Es wird eine ganze Reihe von Ausstellungen geben. Zum einen sollen ausgewählte Objekte im April kommenden Jahres bei der Eröffnung der neuen Bibliothek von Alexandria gezeigt werden. Die gesamte Palette der Funde wird darüber hinaus ab Ende 2003 auf eine große Ausstellungstour durch Europa, die Vereinigten Staaten und Japan gehen. In der Zwischenzeit soll in Ägypten ein Unterwasser-Museum für die ständige Präsentation danach gebaut werden. Ausserdem hat der Discovery-Channel zwei Dokumentarfilme gedreht, die in Europa im Frühjahr nächsten Jahres zu sehen sein werden. Man wusste, dass vor Alexandria zumindest eine Stadt irgendwann abgesunken war. Warum hatte man nicht schon längst danach gesucht? Franck Goddio: Im Falle Alexandrias konnte man aufgrund verschiedener historischer Texte davon ausgehen, dass ein Teil des Königspalastes im Wasser verschwunden war. Außerdem hat man schon 1934 ein paar Dinge nahe der Küste gefunden. Trotzdem war es immer noch eine Heidenarbeit, das Gelände unter Wasser zu kartographieren. Die Sicht dort ist aufgrund des Nilschlammes und des hohen Wellenganges extrem schlecht, nur mit Tauchen allein war es also nicht getan. Es bedurfte modernster Technologie und exakter Vorstudien. Wir haben uns jahrelang Stück für Stück vorgetastet und erst dann mit der eigentlichen Suche und Bergung begonnen. Wie sind Sie dann auch noch auf Heraklion gestoßen, das mehr als sechs Kilometer quasi auf hoher See vor der Küste im Schlamm liegt? Franck Goddio: Wir wussten, dass die Stadt dort etwas weiter draußen liegen musste, und waren sicher, dass wir etwas finden würden. Wie gelingt so etwas? Franck Goddio: Wir haben an einer bestimmten Stelle ein Magnetfeld geortet und beschlossen, genau dort zu suchen. Die Wassertiefe beträgt zwischen sieben und zwölf Meter. Wir fanden im Schlamm ein paar Felsen, begannen sie zu reinigen und entdeckten, dass es sich um fabelhafte Wände aus riesigen Gesteinsquadern handelte. Dazwischen befanden sich viele herrliche Artefakte. All das muss auf einmal versunken sein, der Fund war wirklich extrem aufregend. Haben Sie die Unterwassergrabungen beendet, oder geht die Suche noch weiter? Franck Goddio: Wir stehen hier tatsächlich erst ganz am Anfang. Die archäologische Arbeit, die übrigens gemeinsam mit diversen internationalen Kapazitäten der Ägyptologie und den zuständigen ägyptischen Behörden erfolgt, wird noch viele Jahre in Anspruch nehmen.

Sie selbst kombinieren sehr erfolgreich Archäologie und Industrie, indem Sie privatwirtschaftlich Sponsorengelder auftreiben, von denen beamtete Archäologen nur träumen können. Wie haben Sie diese lukrativen Grabungen nach Mitteln bewerkstelligt?
Franck Goddio: Zuerst muss man beweisen, dass man etwas draufhat. Wenn ich zu einem Sponsor gehe und sage, gib mir Geld, ich werde Atlantis finden, wird seine Antwort ganz einfach nein lauten. Ich war in der angenehmen Situation, 15 Jahre guter archäologischer Performance aufweisen zu können, und Unternehmen, die Geld in Expeditionen dieser Art stecken, wollen vorher einen fundierten Background sehen. Sie haben bis dato zwölf historisch wertvolle Schiffe auf dem Meeresgrund aufgetrieben. Ihre Performance spricht also für Sie, doch wie haben Sie damit begonnen? Franck Goddio: Ich habe meine erste Expedition selbst finanziert. Die ersten fünf Jahre waren auch durchaus schwierig, aber der einzige Weg, zu beweisen, dass man etwas kann. Erst mit dem Erfolg kamen auch gute Sponsoren mit an Bord. Man muss das Risiko zuerst selbst tragen, und manche tun das, andere nicht. Zumindest Ihr Risiko wurde belohnt. Mittlerweile haben Sie auch ein Europäisches Institut für Meeresarchäologie gegründet. Franck Goddio: Die Zusammenarbeit mit Wissenschaftern und den offiziellen Behörden ist enorm wichtig. Die Einsätze leiten aber Sie. Wie groß ist Ihr Team und was müssen die Leute können, um für Sie unter Wasser gehen zu dürfen? Franck Goddio: Es ist klein. Wir sind sechs, sieben Leute, Ingenieure, Techniker, Archäologen. Für jede Mission kommen zusätzlich spezielle Fachleute für befristete Zeit an Bord. In China waren das etwa Experten für Keramik, in Alexandria ein ganzes Team von Professoren mit Fachgebiet Ägyptologie und dem Nahen Osten. Wie wichtig ist modernste Technologie für Ihre Arbeit? Franck Goddio: Technik allein garantiert keinen Erfolg, spielt aber eine große Rolle. Die Knochenarbeit passiert, bevor sie zum Einsatz kommt. Die Geschichte muss genau studiert, Dokumentationen müssen angefertigt werden. Erst dann gehen wir mit verschiedenen, äußerst präzise und fein arbeitenden Geräten auf die Suche. Eines davon wurde gemeinsam mit der Atombehörde speziell für unsere Unterwasserarchäologie entwickelt, es heißt Nuklear-Resonanz-Magnetometer, ist eine Art Radar und misst das magnetische Feld eines Ortes extrem fein und genau. Wir können damit etwa Magnetfelder orten, die durch das Gewicht von Häusern entstehen, und auch seismische Faltungen, wie sie für das Verschwinden von Städten wie Heraklion verantwortlich sind. Sie sind eigentlich Mathematiker und Statistiker. Was passierte, dass Sie in die Unterwasserarchäologie abtauchten? Franck Goddio: Ich war schon als Kind von Archäologie und Geschichte fasziniert und habe mir diesen Traum einfach selbst verwirklicht. Tatsächlich nützt mir meine Ausbildung bei dieser Arbeit sehr, denn Statistiken, Berechnungen, präzise Dokumentationen sind immens wichtig, vor allem, wenn man unter Wasser arbeitet. Ich habe etwa ein Programm entwickelt, das diese Abläufe optimiert. Haben Sie konkrete Pläne für die Zukunft? Welche Schiffe und Schätze warten noch darauf, von Ihnen gehoben zu werden? Franck Goddio: Es gibt einige, aber wir haben in Ägypten für viele Jahre noch jede Menge zu tun. An Schätzen und Kisten voller Gold bin ich auch gar nicht so interessiert. Die Schätze der Geschichte sind viel wichtiger und interessanter. Von einer Holzkonstruktion kann man unter Umständen mehr über ihre Entstehungszeit erfahren als von Goldmünzen. In Alexandria haben wir zum Beispiel zu aller großem Erstaunen Gegenstände gefunden, die wesentlich früher datieren als die Gründung der Stadt selbst. Jetzt tauchen mit den Artefakten neue Fragen auf, die vorher gar nicht gestellt werden konnten. (DER STANDARD-ALBUM, Print-Ausgabe 23. / 24. 6. 2001)