Blutige Szenen, rhetorische Gelehrsamkeit, bizarre Allegorien: Mit Luca Giordano (1634-1705) präsentiert das Kunsthistorische Museum in Wien einen der späten manieristischen Barockmaler, berichtet Rainer Metzger . Das Plakat sieht aus wie die PR für ein Splatter Movie. Ein blonder Abräumer trägt einen abgehackten Schädel vor sich her, macht mit dem Schwert, natürlich blutig, auf Excalibur und hinterlässt am Boden ein paar Leichen. Etwas kokett wirft sich das Kunsthistorische Museum ins Zeug für den Thrill, den es auf den Bildern Luca Giordanos auch gibt. Vor Ort wird man dann schnell gewahr, dass der wilde Rächer Perseus ist, der das Medusenhaupt schwingt. Fantasie statt Fantasy: Mehr ist nicht zu holen. Wer angesichts der Ausstellung in der Kunsthalle Wien schon glauben musste, dass Barock nichts anderes wäre als ein paar dramatisch im Raum verteilte Totenköpfe, erhält im ehrwürdigen Haus vis-à-vis den nötigen Ordnungsruf: Barock hat nichts von Party und umso mehr von Pathos. Luca Giordano, ein Neapolitaner mit Beziehungen quer durch Europa, ist sein vielleicht letzter Vertreter in Reinkultur. Und Reinkultur heißt Jonglieren mit Manieren, bedeutet Verfügung über eine Unzahl von Themen, Sujets, Motiven, denen eines gemeinsam ist: Sie werden in allerhöchster Stillage vorgeführt, sind aufgeladen mit allen Sperenzien aufgeregtesten Sprechens. Barock ist Rhetorik. Anders als in der parallelen El-Greco-Ausstellung muss man bei Luca Giordano die Modernitäten extra suchen. In der ewig gleichen Wiederkehr seiner Gesten und Kniefälle, der Erweckungserlebnisse und Todesängste, der Haupt-und der Staatsaktionen redet sich die Kunst die Hoffnung von der Seele, die Welt noch einmal mit den Mitteln der Inszenierung zu bezwingen. Und diese Mittel, gerade darin ist Luca Giordano der Virtuose schlechthin, stehen vielfältigst zu Gebote.
Antike Bohémiens
Da finden sich dann, vorgeführt in den drei Sälen V bis VII samt anhängender Kabinette, einige der Philosophen-Bilder, die man am ehesten mit dem Namen Giordanos verbindet. Typische Frühwerke in der Tenebroso-Manier seines Lehrmeisters Jusepe de Ribera, nahsichtige, ganzfigurige Idealporträts von antiken Bohémiens, deren Präsenz durch ihren Stich ins Dunkle etwas von sinistrer Tiefgründigkeit erhält. Die Philosophen liefern Giordanos Oeuvre eine Art Signatur. Er wäre ein Moderner, wäre es dabei geblieben. Doch "Luca, fa presto", so sein international gängiger Kosename, machte nicht nur schnell, sondern er war auch ein rechter Proteus, und von dem antiken Meister der Verwandlung und Verstellung bezog er seinen zweiten Spitznamen. Luca Giordano verwandelte sich an, was er brauchen konnte, die römischen Vordenker und Vorplaner Pietro da Cortona und Carlo Maratta, Peter Paul Rubens natürlich und Diego Velázquez. Eine Hommage an des großen Spaniers "Las Meninas" gehört zu den Glanzpunkten der Schau. Giordano malt Wimmelbilder, und er malt monumentale Einzelfiguren. Bei Bedarf entstehen Wirtshausszenen. Besonders bei sich ist er, wenn er sich Allegorien ausdenken darf, so jene Seltsamkeit einer Personifikation der verführten Jugend. Der arme Bub wird von allerlei Gestalten bedrängt, einer Venus, die Muttermilch auf ihm verspritzt, und einer Bacchantentruppe, die ihn mit Wein übergießt. Dann ist da noch ein räudiger Kerl, der an einem Knochen nagt und dem die Krätze aus dem Hinterkopf schwärt. Das ist der Meister Syphilus. Luca Giordanos Bilder sind bis zur Unverständlichkeit kompliziert. Auch darin sind sie im Wortsinn unmodern: Es gibt eine Eins-zu-eins-Entsprechung von Konzept und Können in diesem Oeuvre. Der moderne Effekt, dass der Künstler zwar viel im Kopf hat, sein Werk aber dann beispielweise als ein schwarzes Quadrat daherkommt, steht dem schnellen Luca noch nicht zu Gebote. Dafür ist er doch zu langsam. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25. 6. 2001)