Auf Rudolf Burgers Text selbst war es schwierig zu reagieren. Den Grund dafür bringt der Philosoph Herbert Hrachovec innerhalb einer im Cyberspace geführten Debatte (register@philo.at) auf den Punkt: Burger ist, so Hrachovec, "ein Meister der paradoxen Intervention". Hrachovec kann sich nicht erinnern, "von ihm jemals etwas anderes gelesen zu haben, als provokante Gegenmeinungen. Insbesondere keine eigenständige wissenschaftliche Arbeit." Burgers 'provokante Gegenmeinungen' richtigen sich oftmals gegen den Gesinnungsterror des Nichtvergessendürfens der sogenannten 'Gutmenschen' und natürlich hat die Debatte über die 'Holocaust-Industrie' wieder ein weites Feld für 'Meinungen' geöffnet, denen dann aber zuweilen ein genauerer, wissenschaftlich präziserer Blick auf das Wort 'erinnern' wie auch 'vergessen' gut tun würde. Und so gebe ich Wolfang Müller-Funk in dem Punkt Recht, wo er die Humanwissenschaften aufruft, einer Debatte Begriffsklärungen letzlich nachzureichen ohne sie, wie ich meine, 'festschreiben' zu können. Dieser kleine Beitrag versucht dies in aller 'Bescheidenheit', "die das Thema Gedächtnis wie kein anderes erfordert" (Anselm Haverkamp). Tatsächlich sind die Begriffe erinnern/vergessen überhaupt nicht voneinander zu trennen und so wird das 'Plädoyer für das Vergessen' vom Erinnern immer schon unterlaufen. Man müsste nicht unbedingt die Dialektik aufrufen, deren Beziehungen, wie es auch MüllerFunkt pointiert, niemals 'absolut' sind, sondern eher die von Burger schon vor Jahren vielgeschmähten poststrukturalstischen Diskurse zum Thema befragen. Jeder Erinnerungsprozeß ist metaphorisch, ist ein 'Übersetzungsprozeß', wie es das Wort metapherein suggeriert. Es ist sehr oft ein Prozeß des 'Inschriftsetzens', einer Wiederholung und daher immer auch einer Verschiebung. Erinnerung, wie auch das Vergessen, sind abhängig von Zeichenprozessen und Jacques Derrida benutzt dafür ein Bild, nämlich das der Wachstafel, in der sich alles, was wir im Gedächtnis bewahren, reliefartig eingraviert, als 'Markierung' sozusagen. Diese Markierung ist aber nie etwas 'Eigentliches' oder 'Anwesendes', sondern wird im kulturellen Feld ständig neu aktualisiert. Die Aktualisierung der Shoa ist nun tatsächlich eine "zentrale Erzählung im Hinblick auf die Zukunft einer menschenrechtlich orientierten Gesellschaft geworden" (Müller-Funk), jedoch ist ihr das Vergessen inhärent oder sogar konstitutitv. Wenn ich sage "ich erinnere mich" so bedeutet dies ja, das vor dem Erinnern ein Vergessen war, sonst wäre es nicht notwendig, sich zu erinnern. Das, was ins Gedächtnis zurückgerufen wird, ist gebunden an das Wissen um Endlichkeit, und diese Endlichkeit ist die Bedingung der Möglichkeit des Denkens von Gegenwart und vor allem des 'Verstehens'. Erinnern verweist auf Vergessen und umgekehrt, und dies ist ein unabschließbarer, nicht unbedingt dialektischer, sondern ein oszillierender Prozess. Ursache und Wirkung sind nicht oppositionell organisiert sondern nur über immerwährende Wiederholungen und Verschiebungen denkbar. Diese Wiederholungen und Aktualisierungen sind machtvolle Prozesse, ohne die ein Denken von Identität nicht möglich wäre. Aber genau darum geht es eben, um den Streit um Identitäten, die Rudolf Burger endlich aus einem 'Vergessen' generieren möchte, um uns nicht 'Opfer einer Gedenkpolitik' werden zu lassen, und sagen wir es drastisch, einer 'jüdischen' Gedenkpolitik. An dieser Stelle auch ein Widerspruch zur Formulierung eines 'Pathos des Erinnerns' gekoppelt an das kulturelle Gedächtnis, das jüdische, wie es Müller-Funk beschreibt. Mag dies auch historisch so gelesen werden, wäre es dennoch geradezu prekär, davon auszugehen, daß sich auf der einen Seite die 'jüdische Kultur' ihre Erinnerung aus religiösem Ritual und kollektivem Schmerz generiert, während auf der anderen Seite ein "modernes Österreich" oder "Menschen in Mitteleuropa" jenseits solcher Kategorien zu lokalisieren und zu analysieren wären. Hier trifft eine neue Oppositionsbildung genau ins Mark der Debatte, was nun endlich zu vergessen sei. Die Frage der Memoria, die Erinnern und Vergessen impliziert, wird zur Zeit innerhalb der Kulturwissenschaften/Cultural Studies aber auch der Genderstudies breit diskutiert. Konzepte der Identität spielen eine zentrale Rolle, die der Geschlechtsidentität führt die Charts an. Der Konflikt um diese 'Leitdifferenz' potenziert und differenziert sich, wird er an Fragen nach Rasse, Klasse, sexuelle Identität etc. gekoppelt. Und auch hier könnte man mit einem 'Plädoyer für das Vergessen' vieles vom Tisch wischen, was als Strategie der Vervielfältigung von Identität neue Wissensräume aufmacht. Denn die wissenschaftliche und politische Reflexion auf Fragen nach der Differenz, nach dem 'Anderen', kann als Modell dienen für die Fragen nach der Shoa. Solange Identitäten nicht vieldimensional gedacht werden, ihr Konstruktionscharakter und ihre Verfaßtheit nicht reflektiert wird und somit das das 'Eigene' vom 'Anderen' bedroht scheint, solange wird versucht werden, das 'Andere' auszutreiben oder auszulöschen. Die Shoa, ihre Erinnerung, Wiederholung, Zitation also, ist ein Schlüssel für Fragen eines immerwährenden Identitätskonflikts, der der Grund für sie (die Shoa) war. Das, was uns als Gegenwart des Erinnerten zugänglich ist, ist zwar nachträglich gegeben und im Zitat gewonnen, aber nichts anderes haben wir zur Verfügung. Die Shoa ist also kein 'Objekt', sondern sie ist das, was wir auch sind und weiterdenken müssen, um weiterdenken und bestehen zu können. Insofern ist sie uns zumutbar. Anna Babka, Kulturwissenschaftlerin, lehrt am Institut für Germanistik in Wien und Graz