Los Angeles - Ein Stadtneurotiker mit fahriger Motorik, Gesten, die ins Leere gehen, oder einfach ein Gesichtsausdruck, der mit dem Verbergen innerer Befindlichkeit nie ganz zurande kommt - mit komischem Ausgang wie unter tragischen Vorzeichen. Jack Lemmon, der verliebte Musiker in Frauenkleidern aus Some Like It Hot , der naive Ordnungshüter aus Irma La Douce oder der quengelige Scheinkranke aus The Fortune Cookie , wurde 1925 in Newton, Massachusetts, geboren - als einziger Sohn eines Handelsangestellten, der es später zum Vizepräsidenten der Doughnut Company of America brachte. Als Achtjähriger stand er das erste Mal auf einer Bühne, und damals bereits, so Lemmon später, habe er das Gefühl allgemeiner Anerkennung so genossen, dass er bis hin zu seiner Studienzeit in Harvard keine Gelegenheit ausließ, seinen späteren Beruf zu erproben. Lemmon gehört bereits zu jener Generation von Schauspielern, die übers Fernsehen zum Kino kamen: Fernsehen hieß damals unter anderem Schauspielen vor Livekameras - eine Erfahrung, die nicht zuletzt den Teamgeist schulte. 1948 hatte er erste Gastauftritte, die Sitcom That Wonderful Guy (1949-50) brachte ihm die erste Hauptrolle. Lemmons Filmkarriere begann in den 50er-Jahren. In George Cukors turbulenter Komödie It Should Happen to You (1954) debütierte er in der Rolle eines Dokumentarfilmregisseurs, der mit einem Millionär um die Gunst einer aufgeweckten jungen Dame (Judy Holliday) buhlen muss. Fünf Jahre später fand schließlich jenes kurze Treffen statt, das Lemmon endgültig in andere Dimensionen von Bekanntheit befördern sollte: Billy Wilder sprach ihn in einem Restaurant an. "Er erklärte mir in zwei Minuten die Handlung von Some Like It Hot . Er sagte: 'Zirka 80 Prozent des Films wirst du in Frauenkleidern spielen - willst du das machen?' Ich brauchte ungefähr zwei Sekunden, um Ja zu sagen. Weil es Billy war. In anderen Händen hätte das eine furchtbar peinliche Burleske werden können." Leinwandpartner Lemmons Name ist untrennbar mit denen seiner langjährigen (männlichen) Mitstreiter verbunden. Auch seine ursprüngliche Vorliebe für Nebenrollen ("Ich bin kein Leading Man, kein Komödiant - ich bin ein Charakterdarsteller.") verweist auf ein Selbstverständnis als Ensemble-Spieler: Vor allem mit Walter Matthau und Billy Wilder wird er assoziiert. In sieben Wilder-Filmen trat Lemmon auf, das Odd Couple kann auf 14 Kollaborationen zurückblicken. Dabei sollte man über die Komödien nicht vergessen, wie Lemmon die Charakteristika seiner Leinwand-Persona in ernstere Geschichten einbrachte ( The Apartment , The China Syndrome , Missing ), oder auf seine einzige Regiearbeit - das Altersdrama Kotch (1971). Achtmal für einen Oscar nominiert, konnte er die Trophäe für Mister Roberts (1955) und Save The Tiger (1973) mit nach Hause nehmen. Zuletzt arbeitete Lemmon vor allem fürs Fernsehen. Seine letzten großen Kinorollen hatte er abermals an der Seite von Walter Matthau, den er nur um fast ein Jahr überlebte - am Mittwoch ist Jack Lemmon 76-jährig im Beisein seiner Frau, der Schauspielerin Felicia Farr, seiner Kinder Christopher, Courtney und Denise in einer Krebsklinik in Los Angeles gestorben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29. 6. 2001)