Europride-Finale und Museumsquartier-Eröffnung in Wien:
Das Abschlussfest der Gay Community im MQ-Ambiente - eine symbolträchtige Kombination für Pflege und Stellenwert der heimischen Fassadenkultur.
Einen Monat lang war Wien Schauplatz der Europride 2001. Zum Höhepunkt der LesBiSchwulen-Veranstaltungsreihe, der Regenbogenparade am Ring, kalkulierten die Veranstalter mit bis zu 300.000 Teilnehmern und interessierten Gästen. 1,2 Millionen Schilling an Subvention war der Stadt Wien diese Zielgruppe wert.
Eine annähernd gleich hohe Summe investiert Wien-Tourismus nun in eine spezielle Werbekampagne, die Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Menschen auch nach Ende Juni in die Stadt locken soll. Die Reisewerber/innen haben schnell registriert, dass kinderlose Doppelverdienerpaare ein gutes Fremdenverkehrsgeschäft sind. "Ihre Homosexualität nicht jedermann aufs Auge drücken", empfiehlt FP-Abgeordneter John Gudenus gleichgeschlechtlich Liebenden im Format-Kommentar. "Soll ja jeder machen, was und wie er will, aber bitte nicht in der Öffentlichkeit", fordert der Talkshow-Gast in einer ATV-Sendung zum Thema. "Homo-Ehe nein", sagen 58 Prozent der Österreicher/innen laut einer profil-Untersuchung zum deutlichen legistischen Zeichen für effektive Gleichstellung - vier Prozentpunkte mehr Ablehnung, als die Todesstrafe in einer OGM-Umfrage erhielt.
Kastrierte Architektur
Schwenk ins Museumsquartier. Samstagabend tanzte die Europride-Crowd zum Abschluss einer dreitägigen Eröffnungsparty für ein 60.000 Quadratmeter großes, um zwei Milliarden Schilling umgebautes und 1,1 Millionen Besucher/innen jährlich erwartendes Kunstmonument.
Moment. Monument? Nein. Denn dank der umtriebigen Bewahrungslobby sieht man von draußen nichts als den guten alten Fischer von Erlach. Und genau da offenbart sich das verbindende Element zwischen dem nonkonformen Lebenstraum der Gay Community und dem neuen Kulturraum MQ: Die Gesellschaft mag sie zwar gnadenhalber gestatten und gerne davon profitieren, aber bitte nicht sehen. Wenn schon anders - und das bezieht sich eben nicht nur auf -rum -, dann gefälligst hinter verschlossenen Türen. Tradition ist wichtiger.
Dieses von Kirche, Konservativen und Kronen-Zeitung perpetuierte Prinzip beschert uns aber nicht nur eine kastrierte Kunstbau-Architektur sowie die europaweit restriktivsten Homosexuellengesetze. Es beschert uns auch die Zermürbung von Zukunftsfreudigen. Den Exodus von Begabten. Oder bildungsbürgerliche Bühnenereignisse, die an Wagemut von deutschen Kleinstadttheatern weit übertroffen werden. Es behindert nötige Veränderungen in Gesellschafts-, Wirtschafts-und Bildungspolitik. Es hemmt Fortschritt, Flexibilität und persönliche Freiheit. Es fördert Autoritätshörigkeit, Ausgrenzung und Machtmissbrauch. Kann es da wirklich Zufall sein, dass Österreich außerdem noch eine der höchsten Selbstmordraten verzeichnet?
Restriktive Politik
Wohl ist es schwieriger, sich in einem an Tradition und Leistungen von gestern so überreichen Land ins Morgen zu bewegen. Dass eine Veranstaltung wie Europride überhaupt stattfinden kann, dass ein Event wie der Life Ball zwar keine öffentlichen Gelder, aber immerhin das Rathaus als Rahmen erhält, dass seit 1995 regelmäßig das Festival "Wien ist andersrum" passiert, sollte man anrechnen. Ohne dabei jedoch zu übersehen, dass gleichgeschlechtliche Liebe in Österreich noch bis in die 70er-Jahre ein Strafdelikt war und einem jungen Menschen in diesem Land erst vor wenigen Monaten der Führerschein entzogen wurde, weil er gegen den viel diskutierten Homosexuellenparagraphen 209 verstieß. Hier muss also noch was weitergehen. Gesetzlich und gesellschaftlich. In der Politik ebenso wie in den Köpfen von uns vordergründig Angepassten.
Im Museumsquartier ist ebenfalls Weiterentwicklung fällig. Sagen die Betreiber selbst. Sogar ein nach außen sichtbares bauliches Signal wird wieder laut ventiliert - auch wenn Direktor Wolfgang Waldner, polittaktisch geschult, das Wort "Turm" nur widerstrebend in den Mund nimmt. Was für eine Posse! Ein in 23 Jahren zur außenwirkungsfreien Zone zurechtintrigiertes Areal geht noch während seiner Eröffnung erneut in den Zustand des Unfertigen über. Wie viel Vorurteil und Fantasielosigkeit müssen hier gebremst haben, dass man erst ein Ergebnis schafft - und dann ernsthaft thematisiert, was ihm fehlt.
"Am Umgang mit der Kunst", so Bundespräsident Thomas Klestil beim MQ-Opening, "spiegelt sich die Politik eines Landes wider". In der abendlichen Multimedia-Performance von Robert Spour wurde so ein Spiegelbild sichtbar: als sich eine Lichtprojektion der barocken Fassadenlinien zauberhaft leicht über den Hoftrakt herabsenkte - und dann Augenblicke lang wie ein Kerkergitter aussah, ehe sie folgsam mit der steinernen Wirklichkeit verschmolz.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2. 7. 2001)