Rom - EU-Kommissionspräsident Romano Prodi hat die G-8 aufgerufen, auch auf die Stimmen der Globalisierungsgegner zu hören und vor den "enormen Ungerechtigkeiten in den Lebensbedingungen zwischen reichen und armen Ländern der Welt" nicht blind zu sein. In einem für die römische Tageszeitung "La Repubblica" verfassten Kommentar betonte Prodi, die G-8 sollten sich weiterhin für die Verbreitung der freien Marktwirtschaft auf weltweiter Ebene engagieren, da dies seiner Ansicht nach der einzige Weg sei, um die Armut auf der Welt zu bekämpfen. Zugleich müsse man die Probleme der Globalisierung berücksichtigen und den Dialog mit dem "Volk von Seattle" offen halten. Prodi gab zu, dass die internationalen Gipfeltreffen der Staatschefs im Laufe der Jahre "einen immer unannehmbareren Charakter" eingenommen haben und zu "fast unkontrollierbaren Ereignissen" geworden sind. Die Zeit für eine Trendwende sei gekommen. "Die Globalisierungskrise kann man mit mehr und nicht mit weniger Globalisierung lösen. Was wir tun müssen, ist diesen Prozess zu leiten, indem man auch den ärmeren Schichten der Weltbevölkerung Zugang zu den Vorteilen des Wachstums und der Entwicklung sichert", so Prodi. "Inquisitionsmethoden" Die italienischen Globalisierungsgegner haben inzwischen gegen die Durchsuchung der Wohnung des Chefs der italienischen "Seattle-Fans", Luca Casarini, protestiert. Wegen des Verdachts, Casarini könnte Waffen bei sich halten, drang die Polizei am Mittwoch in seine Wohnung in Genua ein. Beschlagnahmt wurden nur einige Flugblätter. Die Durchsuchung löste die helle Entrüstung Casarinis aus, der der Polizei Inquisitionsmethoden vorwarf. Das State Department (Außenministerium) in Washington rief die US-Bürger auf, während des G-8-Gipfels in Genua vom 20. bis 22. Juli die ligurische Stadt zu meiden. Wegen der Gefahr von Krawallen zwischen Polizei und Globalisierungsgegnern - die in Italien "Popolo di Seattle" (Volk von Seattle) heißen - sollte von Reisen in die norditalienische Hafenstadt Abstand genommen werden, lautet der Ratschlag aus Washington. Der italienische Außenminister Renato Ruggiero reagierte auf den Appell gelassen: "Dasselbe hatten die Amerikaner auch vor dem Wirtschaftsforum in Salzburg geraten", sagte Ruggiero. (APA)