Der Prozess gegen Slobodan Milosevic vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag signalisiert den Menschen und vor allem den Mächtigen in aller Welt: Die Verantwortlichkeit für Massaker, Vertreibungen und Willkürherrschaft wird eingefordert, die blutige Vergangenheit wird aufgeklärt, selbst die Staatschefs müssen vor Gericht.

Doch es gibt Gegenstimmen, die vor einer globalen Rechtsprechung warnen. So meint zum Beispiel Michael Naumann in der aktuellen Ausgabe der Zeit, durch die Einführung einer Strafjustiz für Staatschefs sei Abschreckung nicht zu erhoffen. Der Milosevic-Prozess werde die Frage nach der Rolle von Moral in der Außenpolitik nicht beantworten. Die Weltgeschichte gehe weiter, als ein Weltgericht es je verhindern könnte.

Ähnlich wie Naumann argumentiert der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger. Er warnt in seinem jüngsten Buch davor, Diplomatie durch Paragraphen zu ersetzen. "Die Diktatur der Wohlmeinenden hat oft zu Hexenjagden geführt." Kissingers Argumentation ist möglicherweise dadurch beeinflusst, dass er selbst kürzlich zu zwei Zeugenanhörungen geladen wurde. Er sollte die Haltung der USA zum Militärputsch von Augusto Pinochet in Chile 1973 erläutern. Kissinger lehnte es ab.

Die USA haben zwar die Einsetzung des UNO-Kriegsverbrechertribunals, das allein für Gräueltaten in Jugoslawien zuständig ist, wesentlich mitbetrieben, doch die Einführung eines internationalen Strafgerichtshofs lehnen sie ab. Begründung: Die USA nähmen die riskante Rolle des Weltpolizisten auf sich. Wegen dieser Rolle dürften US-Soldaten nicht für Taten während eines Militäreinsatzes im Ausland vor ein Weltgericht gestellt werden.

1998 wurde in Rom die Einsetzung des Internationalen Strafgerichtshofs (International Criminal Court, ICC) beschlossen. 139 Staaten haben das Statut unterzeichnet, neben anderen lehnten Libyen, der Irak, China, Russland und Burma bisher eine Unterzeichnung ab. Dreißig Länder haben es ratifiziert, darunter Österreich. Die Weltbehörde mit Sitz in Den Haag und Zuständigkeit für Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit tritt aber erst dann in Aktion, wenn sechzig Staaten das Statut ratifiziert haben.

Obwohl der Internationale Strafgerichtshof nicht rückwirkend, sondern erst für Fälle ab seiner offiziellen Installierung zuständig wäre, ist die Thematik von enormer politischer Brisanz. Denn der Zugriff der Weltjustiz droht bereits jetzt aktiven Staatsmännern. Chiles ehemaliger Militärdiktator Pinochet stand in London ein Jahr unter Hausarrest. Begründung des britischen Oberhauses: Von Immunität könne keine Rede sein, schließlich gehöre Folter nicht zu den Aufgaben eines Staatsoberhaupts. Das Urteil der britischen Lordrichter signalisierte in einem richtungsweisenden Entscheid, dass die elementaren Menschenrechte überall eingeklagt werden können.

Kissinger hingegen warnt vor der Verrechtlichung der Außenpolitik, denn schließlich könne die "Tyrannei von Richtern" schnell die Tyrannei von Regierungen ersetzen. Doch sollen die Diktatoren ihrer Verantwortlichkeit entkommen? Gemäß dem Motto, dass die Kleinen gehängt und die Großen laufen gelassen werden? Soll ein Saddam Hussein, der Kuwait besetzt und gegen die eigene Bevölkerung Giftgas eingesetzt hat, ungeschoren davonkommen? Oder Liberias Staatschef Charles Taylor, dessen bevorzugte Methode es ist, Zivilisten verstümmeln zu lassen?

Die Globalisierung verändert die Wirtschaftsstrukturen in aller Welt. Sie wird auch eine Verrechtlichung zwischenstaatlichen Handelns zur Folge haben müssen. Vorläufig gibt es nur erste Ansätze einer internationalen Justizkultur. Doch sie wird kommen, der Trend ist seit fünfzig Jahren eindeutig feststellbar. Denn keiner der Staatsverbrecher soll sich mehr sicher fühlen können vor einer Strafverfolgung, irgendwo und irgendwann. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.7.2001)