Augusto Pinochet scheint es geschafft zu haben. Chiles 85-jähriger Militärdiktator wird sterben dürfen, ohne sich vor Gericht für die Folterungen und Morde verantworten zu müssen, die unter seinem 17-jährigen Terrorregime begangen wurden. Der General, der zu feige ist, sich seinen Taten zu stellen, hat - wie es aussieht - die Schlacht gewonnen.

Doch ein Triumph ist das bei weitem nicht. Denn die Richter haben ihn nicht freigesprochen, sondern lediglich seine Verhandlungsunfähigkeit festgestellt. Bisher haben Pinochets Anwälte und seine Familie es abgelehnt, ihn als geistig oder physisch geschwächt bezeichnen zu lassen. Ihre Strategie war es, ihn politisch zu verteidigen, da er in ihren Augen unschuldig ist. Aber nun sahen sie offensichtlich keinen anderen Ausweg, als zu behaupten, der Exdiktator leide an Altersschwachsinn.

Der Skandal, dass Pinochet ungestraft bleibt, belegt einmal mehr die Notwendigkeit der raschen Installierung des 1998 beschlossenen Internationalen Strafgerichtshofs für den weltweiten Klub der Staatsverbrecher. Pinochet, Slobodan Milosevic, die innerkroatischen Probleme mit der Auslieferung zweier Generäle, die vieler Kriegsverbrechen angeklagt sind, und zahlreiche andere Beispiele belegen, dass die innerstaatliche Verfolgung ehemaliger Diktatoren bzw. ihrer Eliten nur in seltenen Fällen funktioniert. Zu viele Wunden sind offen, das Volk dürstet nach Ruhe und Frieden, die Machtverhältnisse lassen eine nationale Strafverfolgung häufig nicht zu.

Die britischen Lordrichter haben mit der Verhängung des Hausarrestes gegen Pinochet vor zwei Jahren in London eine richtungweisende Entscheidung getroffen: Die elementaren Menschenrechte können überall eingeklagt werden. Mithilfe dieses Prinzips und dem Internationalen Strafgerichtshof hätte der Anspruch universeller Gerechtigkeit die Chance, über die Realpolitik zu siegen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. Juli 2001)