Salzburg - "Das Bedürfnis der Angehörigen nach gänzlicher, ungeschminkter Wahrheit ist riesengroß, die größte Qual, die größte Marter ist die Unsicherheit", beschreibt der Schweizer Therapeut Peter Fässler-Weibel eine der wesentlichen Erfahrungen, die er bei seiner Arbeit immer wieder und aktuell gerade mit den Angehörigen von Kaprun-Opfern macht. Als wenig hilfreich bei der Aufarbeitung und Bewältung der Katastrophe erachtet der Psychologe im konkreten Fall die mangelnde Gesprächsbereitschaft der Justiz. Als geradezu inakzeptabel kritisierte er am Freitag bei einem Pressegespräch die Sabotage der Trauerarbeit durch einige Anwälte. "Wenn Sie beabsichtigen, möglichst viel Geld herauszupressen, müssen Sie alles daran setzen, dass es den Betroffenen möglichst schlecht geht, um so zu zeigen, welche Folgen das Desaster hatte", analysiert Fässler-Weibel die Barrieren, die manche Anwälte der psychischen Aufarbeitung des Unglücks in den Weg legen. Jeder Versuch, den Angehörigen weiterzuhelfen, werde bei einer solchen Sichtweise als Störfaktor angesehen und entsprechend abgeblockt. Die Betroffenen sollten aber eines nicht vergessen, mahnt der Psychologe: "Sie bekommen keinen Schilling mehr, wenn es ihnen in einem Jahr noch immer schlecht geht, und keinen Schilling weniger, wenn es ihnen in einem Jahr besser geht." Antwort auf quälende Fragen Fünf Regionaltreffen hat der Therapeut bisher abgehalten: zwei in Kaprun, jeweils eines in Wels, Wien und Bayern. Gekommen sind ungefähr 150 Angehörige von etwa 70 bis 80 Opfern. Gerade zu Beginn der Treffen sah sich der Psychologe oftmals mit Aggression als Folge der Trauer konfrontiert, die sich dann während der Gespräche in einem zunehmend konstruktiver werdenden Klima auflöste. Wichtig war es, den Hinterbliebenen Antwort auf quälende Fragen zu geben. Die Angst, das Opfer habe vielleicht lange leiden müssen, konnte beispielsweise mit Hilfe eines Lungenfacharztes genommen werden, der über die schnelle Wirkung einer Kohlenmonoxid-Vergiftung aufklärte. Das Regionaltreffen mit der Präsentation des "Lageplans", auf dem deutlich die Position aller 155, bei der Brandkatastrophe am 11. November 2000 ums Leben gekommenen Unglücksopfer ablesbar war, konnte etwa einer Angehörigen die Gewissheit geben, dass die Kinder beim Vater starben. "Das entlastet", schildert Fässler-Weibel. Weitere wichtige Schritte zur Bewältigung der Trauerarbeit sollen die von gut einem Drittel der Hinterbliebenen gewünschte Besichtigung des Wracks und des Unglückstunnels sein. Die Begehung des Tunnels ist für den Herbst geplant, wegen des Wracks hat Fässler-Weibel am 8. Mai beim Landesgericht Salzburg um die Bewilligung angesucht, allerdings bis heute keine Antwort erhalten. Für die Begehung des Tunnels bekamen die Angehörigen nun entsprechende Anmeldeformulare zugeschickt, in welchen sie auch über die Belastungen aufgeklärt werden, die sie erwarten. Jede Begehung wird denn auch von umfassenden medizinischen Sicherheitsmaßnahmen begleitet, auf eine Gruppe von zwölf bis 18 Angehörigen kommen - angefangen vom Notarzt über den Psychologen bis zum Bergführer - immerhin elf Betreuer. (APA)