Der Sozial- und Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal leitete jene Expertengruppe, die vor einem Jahr Reformvorschläge zur "Treffsicherheit im Sozialsystem" veröffentlichte. Neueste Gerüchte, wonach er Geschäftsführer im Hauptverband der Sozialversicherungsträger werden könnte, dementiert Mazal. STANDARD: Sie sind letztes Jahr in einer Doppelmühle gelandet: Einerseits wurden Sie als Regierungsbüttel verunglimpft, andererseits von der FPÖ als hochnäsiger Experte kritisiert. Mazal: Ich kann nicht beeinflussen, wenn andere ein falsches Bild zeichnen wollen. Auch kann ich der Politik nicht ihre Aufgabe abnehmen, sondern lediglich Politiker informieren. Wer mich kennt, weiß, dass ich kein Regierungsbüttel bin. Und wenn jemand nicht aushält, dass ein anderer mehr weiß als er, dann ist das ebenfalls nicht mein Problem. STANDARD: Wurde bei der Unfallrentenbesteuerung mit Informationen schlecht umgegangen? Mazal: Die Unfallrentenbesteuerung war eine von mehreren vorgeschlagenen Maßnahmen. Ich habe damit kein fachliches Problem. Aber nicht nur ich habe mehrfach das Fehlen von Übergangsbestimmungen moniert. Beschlussfassung wie auch Umsetzung erfolgten übrigens unter Verantwortung des Finanzministeriums. STANDARD: Das Ganze wirkte verunglückt. Mazal: Das ist auch verunglückt. Ich habe in meinem Bericht an den Sozialminister ein anderes Modell der Härtefallregelungen vorgeschlagen, das letztlich auf Übergangsbestimmungen hinauslief. STANDARD: Sie haben mehrfach gesagt, dass Familienleistungen noch mehr berücksichtigt werden müssen. Mazal: Es gibt nach wie vor Bereiche, wo Familienarbeit zu wenig gewürdigt ist. So wird nur ein Teil der Kindererziehungszeiten pensionsrechtlich voll anerkannt. Im Kinderbetreuungsgeldgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung erfolgt. STANDARD: Sollten Frauen, die keine Kinder haben, das gleiche Pensionsantrittsalter wie Männer haben? Mazal: Der Verfassungsgerichtshof hat 1991 das ungleiche Pensionsalter als verfassungswidrig aufgehoben, weil auch Frauen, die keine Doppelbelastung haben, in den Genuss des früheren Pensionsalters kommen. Danach hat man die Ungleichbehandlung von Frauen per Verfassungsgesetz zementiert. STANDARD: Wieso Ungleichbehandlung? Handelt es sich nicht eher um Gleichbehandlung, die für einen Teil der Frauen eben ein Privileg ist? Mazal: Dieses Privileg bleibt ungerechtfertigt, wenn Frauen nicht doppelbelastet sind und trotzdem früher in Pension gehen können. Die Doppeltbelastete ist damit im Nachteil gegenüber der anderen. Sie bekommt keinen Ausgleich. Es gibt auch eine Arbeitsgruppe, die das Thema Frauenpension bereits bearbeitet. STANDARD: Aus Ihrer Sicht ... Mazal: ... muss man das Thema grundsätzlich angehen und etwa auch fragen: Brauche ich die Hinterbliebenenrente oder wäre eine Eigenrente sinnvoller? STANDARD: Wird es noch eine große Pensionsreform vor der Wahl geben? Mazal: Nein. Das wäre auch zu kurz. Aber in Details sollte es Änderungen geben - beispielsweise bei den Invaliditätspensionen. STANDARD: Wie halten Sie von einer Grundsicherung? Mazal: Ich stehe Modellen einer bedarfsorientierten Grundsicherung aufgeschlossen gegenüber. Es darf aber nicht der Freibrief fürs Faulsein sein, um den deutschen Kanzler zu zitieren. Man könnte in Österreich aber auch höhere Arbeitslosengelder bezahlen, wenn die Menschen rascher vermittelt würden. STANDARD: Sind Sie mit dem Kindergeld zufrieden? Mazal: Na ja, für mich ist nach wie vor die Einkommensgrenze ein Systemfehler, weil damit eine Familienleistung zur Sozialleistung geworden ist. Das ist ein entscheidender Paradigmenwechsel des Familienlastenausgleichsrechts, den ich mir gerade von bürgerlichen Parteien nicht erwartet hätte. Dies ist durchaus auch ein verfassungsrechtliches Problem. Die Grenze kann vor allem bei Fällen der Teilzeitbeschäftigung zu sozialem Rückschritt führen. STANDARD: Was ist aus der "sozialen Treffsicherheit" geworden? Mazal: Ich bin der Auffassung, dass man die Maßnahmen nicht nur unter dem Titel "Einsparung", sondern auch unter "Hebung der inneren Gerechtigkeit" sehen kann - auch bei den Unfallrenten. Dieses Geld wurde ja verwendet, um die Schwerstversehrtenrenten anzuheben und vor allem jenen Behinderten zu helfen, die nicht Arbeitsunfallopfer sind. STANDARD: Aber in Summe wird das Ganze in der öffentlichen Meinung als Wahnsinn betrachtet. Mazal: Ja, als verbrecherisch und so weiter. Das ist der katastrophalen Kommunikation des ganzen Projekts anzulasten. Beide Parteien haben es verabsäumt, ihre Funktionäre in diesen Fragen zu schulen, damit sie es rüberbringen können. Wenn eine Firma ein neues Produkt lanciert, geht sie damit erst hinaus, wenn es komplett fertig ist, der letzte Prospekt gedruckt sowie die Strategie mit der Marketingabteilung besprochen ist - und nicht eine Sekunde vorher. (Martina Salomon) (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 17.6. 2001)