Ab Herbst werden an den österreichischen Hochschulen Studiengebühren eingehoben. Von Seiten der Universitätslehrer kann man schier endlose Klagen über ihre Lage vernehmen. Aber haben sie eigentlich schon realisiert, dass jetzt neue Spielbedingungen herrschen? Wenn für etwas, das ehedem kostenlos war, auf einmal Gebühren eingehoben werden, dann sollte es eigentlich ab diesem Zeitpunkt "besser" sein - und dieses "Besser" fällt zu einem Teil in die Verantwortung der Lehrenden. Das österreichische Hochschulwesen zeichnet sich durch eine extrem lange Studiendauer aus. Verteidiger des Status quo weisen auf den persönlichkeitsbildenden Effekt langer Studien hin oder darauf, dass lineare Berufskarrieren heute selten geworden sind, und junge Menschen in einem Patchwork von Tätigkeiten stecken, in dem das Studium nur eine Aktivität von vielen ist. Das mag sein, doch in vielen Fällen wird hier einfach Lebens- und Arbeitszeit sinnlos vergeudet. Interessanter Vorstoß Die lange Studiendauer hat unzählige Gründe, einer liegt wohl darin, dass viele StudieentInnen ohne präzise Motivation und Kompetenz für das gewählte Fach auf die Universität kommen. Im derzeitigen System ist die Studienwahl, die eigentlich vor der Erstinskription abgeschlossen sein sollte, einfach in die Anfangssemester verlegt worden. Die Gründe sind leicht nachvollziehbar: Der Sohn einer Ärztin, dessen Onkel Anwalt ist, weiß in etwa, was ihn erwartet, wenn er Jus oder Medizin studiert. Doch wie ist das mit Fächern, deren Alltag den potenziellen Studierenden nicht vertraut ist? Die Namen der akademischen Disziplinen sind ja wunderschön und mobilisieren ungeheure Fantasien, die der spätere, gemessen an den Erwartungen langweilige Studienalltag zwangsläufig enttäuscht: Psychologie etwa hat wenig mit dem Unbewussten zu tun und zunächst sehr viel mit Statistik. "Numerus selectus" auf der Wiener Publizistik Der Vorstand des Wiener Publizistik Instituts, Wolfgang Langenbucher, hat nun den aufsehenerregenden Vorschlag eines "Numerus selectus" gemacht. Welcher Teufel diesen Experten der Massenkommunikation geritten hat, dass er uns mit dem Neologismus "Numerus selectus" beglückt, ist unklar - wenn es nach mir geht, dann wird das Wortmonster zum Un-Wort des Jahres 2001 avancieren. Es weckt furchtbare Assoziationen: Eine große Rampe in der Aula und dazwischen die akademischen Dr. Mengeles bei der "Selektion" potenzieller Studenten. Die Sache, um die es Langenbucher geht, ist allerdings einer genaueren Erörterung würdig. Wer genau hinhört, registriert, dass hier ein prominenter Hochschullehrer die Front derer, die nur klagen, verlassen hat: Mit seinen zustimmenden Kommentaren zur Erfurter Publizistik, wo mit den potenziellen Anfängern ausführliche Gespräche geführt werden, hat Langenbucher ein bemerkenswertes Angebot gemacht. Hier offeriert ein prominenter Hochschullehrer Mehrarbeit, damit sein Institut besser läuft. Abweisung? Nein. Abzulehnen ist allerdings die von der Industriellenvereinigung unterstützte Konsequenz. Ein Abweisen der ungeeigneten Kandidaten. Das ist eine extreme Lösung, über die man erst reden sollte, wenn alle anderen scheitern. Man sollte zunächst davon ausgehen, dass junge Menschen, die schon ihre politische Vertretung wählen, über die prinzipielle Kompetenz verfügen, sich selbst richtig im Lehrangebot der Universitäten zu platzieren. Was ihnen das derzeitige System verweigert, sind qualifizierte Informationen über das, was eine Studienrichtung bietet und was in ihr verlangt wird. Wer Schüler der achten Klasse an ihren freien Tagen in Lehrveranstaltungen schickt, sieht, wie schnell sich manche Vorstellungen von einem anziehenden Studienfach einfach in Luft auflösen. Das ist aber letztlich "Handwerkelei", genauso wie die im Ergebnis wahrscheinlich nicht sonderlich informativen Gespräche des Erfurter Modells, die "Einführungswoche", die an vielen Instituten angeboten wird, die Internet-Auftritte, die Studienberatung der ÖH oder die Zwei-Minuten-Besuche im Hörsaal, die motivierte Mittelschullehrer mit ihren SchülerInnen machen. Information ... Auch die viel besprochenen "Tests" sind ein untaugliches Instrument. Das Maturazeugnis stellt zwar die Studienberechtigung dar, aber es sagt nur mehr wenig über die Studienbefähigung aus. Die Absolventen der Mittelschulen beherrschen häufig gewisse elementare Fähigkeiten nicht mehr - etwa ein Problem darstellen, einen Text, der eine Lösung anbietet, referieren und dann kommentieren. Mancher verbringt seine Anfangssemester in den Geisteswissenschaften mit dem Nachholen jener Fertigkeit, die früher als Redeübung in der Mittelschule vermittelt wurde. Die Hochschulen haben also - mehr nolens als volens - einige Funktionen übernommen, die früher die Mittelschule hatte. Es wäre kein überraschendes Ergebnis, wenn sich in den Tests herausstellte, dass eine nicht geringe Quote von Studienwerbern nach den klassischen universitären Standards ungeeignet sind. Was tun wir dann? Zusehen, wie die beklagte Akademikerquote weiter schrumpft. ... statt "Selektion" Die mögliche Alternative hat sich an vielen Hochschulen der USA bewährt: Sommerkurse, in denen jedes Fach sich in seiner ganzen Breite und vor allem authentisch, also auch inklusive seiner "langweiligen Seite", vorstellt. Damit wird den künftigen Akademikern eine qualifizierte Entscheidungsgrundlage für ihre Studienwahl geboten. Wenn man einen Teil der Orientierungsphase aus dem Studium herausnimmt, erspart man den Studierenden Geld und Lebenszeit und den Instituten demotivierte Hörer/ innen, die nach einigen Semestern abwandern - möglicherweise an ein anderes Institut, dessen Studienbedingungen ihnen ebenso unbekannt sind. Zwang sollte erst dann einsetzen, wenn das von den Lehrenden zu tragende System der umfassenden Information gescheitert ist. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 17. 7. 2001)