Wien - Der G-8-Gipfel in Genua wird von den bislang größten Demonstrationen begleitet werden. Karl Brunner, Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Wien und Spezialist für Mentalitätsgeschichte, sieht manche Parallelen zu früheren Zeiten, auch wenn er die Unterschiede des demokratischen Protests betont. STANDARD: An was erinnern Sie ein moderner G-8-Gipfel und das Ritual der Proteste? An Fürstentreffen und Karneval? Brunner: Karneval ist ein gutes Stichwort. Karneval hat zeitweise Elemente des Widerstands beinhaltet. Karneval ist die verkehrte Welt, die Auszeit, Karneval ist immer wieder die Möglichkeit, sich zu artikulieren und dann wieder in den Alltag zurückzukehren. Karneval hat den Vorteil, dass er auch wieder einmal aus ist. STANDARD: Wenn die Mächtigen sich trafen und das Volk feierte, war für die Untertanen dann zugleich Gelegenheit, Kritik an den Fürsten zu üben? Brunner: Es gibt zwei Formen der Kritik, gegen die die Mächtigen nicht angehen können. Die eine ist der Hofnarr, aber den hält sich der Mächtige selbst. Der zweite Typ ist die Vision. Die hat einer vom lieben Gott, und dagegen lässt sich schwer etwas anführen. So wurde politische Kritik oft geäußert. Wenn Sie ganz bös' sein wollen, können sie die NGOs mit Häretikern vergleichen, wobei ich einen positiven Begriff von Häretikern habe, im Sinne von "nicht der herrschenden Lehre angehörend". Das wäre eine Vergleichsebene. Es gab in der Geschichte immer wieder Beispiele für Gruppen, die bereit sind, für die Wahrheit alles zu opfern und das auch öffentlich. STANDARD: Welche gesellschaftliche Bedeutung hatte ein solches Markttreiben bei einem Treffen der Fürsten?


Brunner: Nun, erst einmal ist ein solches Treffen wie heute auch ein unheimliches Geschäft für die ganze Gegend. Es ist gleichzeitig auch ein sehr großes logistisches Problem. Mit den Transport- und Erzeugungsmitteln des Mittelalters waren solche Treffen sehr schwer zu organisieren. In der Zeit des Interregnums musste der König Ottokar sogar einen größeren Hoftag absagen, weil ihm die Bäcker gesagt haben, es gibt nicht genug Mehl in Niederösterreich. Es ist auch eine ungeheure Informationsmöglichkeit für die Leute, und man muss ihnen die entsprechenden Spiele liefern. Das ist der Unterschied zu heute. Heute geht die Selbstdarstellung der Mächtigen nur über die Medien. Vielleicht wäre alles leichter, wenn sie sich vor Ort an das Volk wenden würden. (mab, DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 19.7.2001)