Jerusalem - Palästinenser haben am Mittwochabend nach Angaben des israelischen Rundfunks weiterhin auf zivile und militärische Ziele in Israel gefeuert.
Die israelischen Streitkräfte hätten in den meisten Fällen das Feuer nicht erwidert. Mehrere Schüsse seien erneut auf die Wohngebiete des Jerusalemer Vororts Gilo
abgegeben worden. Palästinenser hätten auch nahe Ramallah auf ein Militärfahrzeug geschossen, ferner sei im nördlichen Abschnitt des Westjordanlandes auf einen
Bus gefeuert worden.
Berichte über ungewöhnliche Konzentrationen israelischer Truppen an den Nahtstellen im Westjordanland hatten zuvor in der Nacht auf Mittwoch für Aufregung gesorgt und einige Stunden lang den Eindruck erweckt, als würde Israel eine "Invasion" des Autonomiegebiets vorbereiten. Aus verschiedenen Teilen des Landes wurden israelischen Medienberichten zufolge in großer Zahl Panzer und Infanterie herangebracht, vor allem in die Gegend von Jenin im Norden und Bethlehem im Zentrum.
Nach und nach stellte sich aber heraus, dass es sich um Säbelrasseln und keine Offensive handelte. Israelische Sprecher spielten am Morgen die Verstärkung herunter: Es sei keinerlei Entscheidung für einen Militärschlag gefallen, sagte etwa Kabinettssekretär Gideon Saar, die Armee müsse sich lediglich "für jede Eventualität vorbereiten". Von palästinensischer Seite hieß es, es seien zwar Truppenbewegungen registriert worden, es handle sich aber eher um "psychologischen Druck".
Stufe um Stufe hatte der Dienstag eine Verschärfung gebracht. Die Truppenverstärkung war offenbar eine Reaktion darauf, dass die Palästinenser erstmals mit primitiven Kanonen auf Gilo geschossen hatten, ein jüdisches Viertel Ostjerusalems. Siedlungen in und um den Gazastreifen sind in den letzten Monaten zwar schon Dutzende Male von Mörsergranaten getroffen worden, doch dass nun die Hauptstadt aufs Korn genommen wurde, war aus israelischer Sicht ein Tabubruch.
Haus in Bethlehem
Das Granatenfeuer war wiederum die Reaktion der Palästinenser darauf gewesen, dass Israel ein Haus in Bethlehem mit Raketen zerstört hatte, wobei vier Menschen getötet und 14 verletzt wurden. Die Israelis rechtfertigten den Angriff als Akt der "Selbstverteidigung", mit dem ein führender Hamas-Terrorist "ausgeschaltet" wurde - er soll einen großen Anschlag bei der Abschlussfeier der "Makkabiade" in Jerusalem geplant haben, eines internationalen jüdischen Sportfests mit Tausenden Teilnehmern.
Mit der zunächst an die große Glocke gehängten Truppenbewegung schien Israel Palästinenserchef Yassir Arafat klar machen zu wollen, dass er die Terrorattacken und das Mörserfeuer sofort abzustellen habe, zugleich sollten wohl internationale Politiker aufgescheucht und durch die augenfällige Gefahr einer militärischen Konfrontation zu mehr Druck auf Arafat motiviert werden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 19.7.2001)