STANDARD-Korrespondentin aus Palo Alto Noch vor einem Monat malte Kaliforniens Regierung ein Schreckensbild von Stromausfällen und horrenden Energiepreisen für diesen Sommer. Ein ungewöhnlich kühler Juni und Stromsparmaßnahmen der Bevölkerung haben jedoch bisher genau das Gegenteil produziert: Der Sonnenstaat vermeldet plötzlich einen unerwarteten Überschuss an Elektrizität.

Der Überschuss ist nur bedingt eine gute Nachricht. Denn während noch vor kurzem die Regierung händeringend bei Stromversorgern in den Nachbarstaaten betteln ging und in Krisenzeiten bis zu 1000 Dollar (16.000 S/1162 EURO) für ein Megawatt bezahlte, macht sie nun erneut Miese. So ist sie derzeit per Vertrag verpflichtet, durchschnittlich 133 Dollar für das Megawatt zu bezahlen, kann überschüssige Energie jedoch nur für 15 bis 30 Dollar pro Megawatt wieder losschlagen.

Kein Wunder, dass Steuerzahler und Gegner des demokratischen Gouverneurs, Gray Davis, gleichermaßen auf die Barrikaden gehen und die Energiepolitik als "dilettantisch" abtun. "Die für die Stromversorgung Zuständigen haben keine Ahnung und lassen sich von den Stromwerken über den Tisch ziehen", moniert Harvey Rosenfield von der Stiftung für die Rechte von Steuerzahlern und Konsumenten.

"Auf das Wetter haben wir keinen Einfluss"

Regierungssprecher Steve Maviglio weist solche Vorwürfe zurück: "Wir tun alles, um die Situation in den Griff zu bekommen, aber auf das Wetter haben wir keinen Einfluss." Auch gibt er zu Bedenken, dass sich die Situation ebenso schnell wieder ändern könne, sollte erneut eine Hitzewelle über den westlichen Bundesstaat schwappen.

Doch es ist nicht allein das Wetter, das die Energiepolitik auf den Kopf stellt. Nachdem eine verfehlte Deregulierung der Energieversorgung Kaliforniens Einwohner in den vergangenen Monaten Stromabschaltungen und höhere Strompreise von bis zu 40 Prozent bescherte, entschieden sich viele für Sparmaßnahmen. Privathaushalte griffen zu energiesparenden Glühbirnen, trockneten die Wäsche statt im Trockner auf dem Balkon und ließen die Klimaanlage ruhen. In der Industrie erlebten Energiesparexperten plötzlich eine Hausse, Unternehmen dämpften die Lichter und wiesen Mitarbeiter an, ihre Computer am Abend auszuschalten. Das Resultat: Im Juni lag die Nachfrage um zwölf Prozent unter der vom Vorjahr. (Rita Neubauer, DER STANDARD, Printausgabe 23.7.2001)