Pau/Frankreich - Die 70-minütige Pressekonferenz im Kongress-Saal von Pau geriet zum Tribunal. Lance Armstrong war in Shorts erschienen, die "Richter" trugen ebenfalls Freizeitkleidung. "Können Sie sich vorstellen, dass jemand mit meiner medizinischen Vergangenheit Wachstumshormone schluckt?", fragte der mutmaßliche Sieger der 88. Tour der France in Anspielung auf seine überwundene Hoden-Krebs-Erkrankung in die Runde der etwa 100 Journalisten. Der 29-jährige Texaner antwortete mit einem leichten Kopfschütteln selbst: "Niemals". Unantastbar Die "L'Equipe" befand am Dienstag: "Genauso unantastbar wie im Rennen erschien Armstrong vor der Presse und kämpfte gegen alle." Den Auftritt in Pau hatte der Texaner genauso gewissenhaft vorbereitet wie sein Bergzeitfahren nach Chamrousse und den vorletzten Pyrenäen-Anstieg auf den Pla d'Adet. "Ich kann jeden Morgen in den Spiegel schauen und vor meine Familie treten - das ist entscheidend", sagte Armstrong. Den wiederkehrenden Fragen nach seinem Verhältnis zu dem umstrittenen italienischen Mediziner Michele Ferrari, dem am 21. September ein Doping-Prozess bevorsteht, entgegnete er auch am Montag entschieden. Ferrari sei "ehrlich, fair und unschuldig", wieso sollte er sich von diesem Mann distanzieren? "Lasst den Prozess entscheiden und haltet euch an die Fakten", empfahl Armstrong fast beschwörend. Die italienische Staatsanwaltschaft stellte bei Ferrari eine Liste mit 70 Fahrer-Namen sicher, die mutmaßlich das Blut-Dopingmittel EPO genommen haben. Ein Leben unter dem Mikroskop Als Rad-Profi, so die Erkenntnis des Amerikaners, steht er als Vertreter der inkriminierten Zunft nach unzähligen Affären prinzipiell unter Doping-Verdacht: "Seit dem Festina-Skandal vor drei Jahren leben wir wie unter einem Mikroskop". Er sei noch niemals positiv getestet worden. Die Urin- und Blutproben des gesamten US Postal-Teams bei der Tour 2000 seien "clean", betonte Armstrong. Die französischen Richter hätten das bestätigt. "Was wollen Sie denn noch mehr?", fragte er herausfordernd in die Runde. Armstrong benutzt ein Höhenzelt in der Vorbereitung, um Sauerstoffmangel in der Höhe zu simulieren. Das sei "sauber und legal". Er lässt sich auch Infusionen setzen, um nach einer anstrengenden Tagesetappe wieder Kraft zu schöpfen. "Ist das denn Doping, nur weil die Lösung mit einer Nadel verabreicht wird?" fragte Armstrong. Nicht nur einige Journalisten, auch Ex-Profis wie der heutige Kelme-Sportchef Vicente Belda (Spanien) und der Ire Paul Kimmage, auch Enthüllungs-Autor zum Thema, unterstellen dem wahrscheinlich dreifachen Toursieger Doping. Höchstform durch hartes Training Wenn es um die außergewöhnliche sportliche Leistung des Tour-Dominators geht, ist der Mann aus Austin bescheiden, oder tut zumindestens so. Er fühlt sich im Vergleich zu den fünffachen Toursiegern Bernard Hinault, Eddy Merckx oder Miguel Indurain als weniger bedeutend. Seine gegenwärtige Höchstform, die keinen Konkurrenten neben ihm bestehen lässt, schreibt Armstrong seinem Training zu, das in diesem Jahr "viel härter als in den letzten Jahren war", weil er von Ullrichs enormen Anstrengungen gehört hatte, die Tour doch noch ein Mal gewinnen zu wollen. Armstrong: "Außerdem bin ich jetzt im besten Alter." Er weiß, dass die Zeit des Ruhmes kurz ist und die Zukunft ungewiss. Die Tour ist sein Radsport-Kosmos, um den sich alles dreht: "Wenn ich keine Tour mehr fahre, höre ich mit Radsport auf." Einen Zeitpunkt, vielleicht als Hoffnung für die Konkurrenz, nannte er nicht. "Nicht die Suche nach der Rekord-Leistung wird mich hier halten, sondern das Glücksgefühl". Seine Rückkehr für das kommende Jahr kündigte er an, ob er 2003 noch dabei ist ließ er offen. (APA/dpa)