Salzburg - Nun sind also auch sie in Salzburg gelandet - die Wiener Philharmoniker. Zwar unter Zeugenschaft von Boulevard-Größen wie Thomas Gottschalk, aber inhaltlich gottlob ohne großen Pomp. Vielmehr mit einem Repertoire aus Bartóks suchenden Vier Orchesterstücken und Bruckners letztem symphonischen Atem. Und - dezenter geht es nicht - mit Pierre Boulez, dem dirigierenden Charmeur des Sachlichkeit. Es ist natürlich von schöner, wahrscheinlich zufälliger Symbolik, dass man im letzten Sommer Mortierscher Prägung mit einer Partnerschaft in die Festspiele einsteigt, die gerade in der (und durch) die Ära des scheidenden Intendanten so befruchtend für die Philharmoniker wurde und in der nahenden Ära Ruzicka hoffentlich fortgesetzt wird. Boulez, der komponierende Klassiker der Moderne, mit seiner mikroskopisch genauen Wahrnehmung, legt einen gütig unpathetischen Blick auf die Tradition. Das mag im Detail sogar heilsam therapeutische Wirkung entfaltet haben. Alles vordergründig Effektvolle und unbegründet Ausufernde ist Boulez unangenehm, Tradition oft nur das süffige klingende Alibi der interpretatorischen Nachlässigkeit. Die Symmetrie des Werkes, dessen innere Spannungen treten bei ihm stets zutage, dennoch - und das ist das Lukrative an dem Tandem Dirigent/Orchester - leuchten sie angestrahlt von der gleißenden Sonne dieses philharmonischen Klanges, dessen Qualität Boulez eine kostbare Selbstverständlichkeit ist. Natürlich darf das Kollektiv andernorts mehr singen. Und bei Bruckners 9. Symphonie hätte man sie gerne öfters ihre lyrischen Kantilenen erwecken gesehen. Was Boulez vorschwebt, ist jedoch eine Schönheit ohne Schein, ein Durchschimmern der Proportionen. Er spürt die kleinsten Verästelungen auf und lässt sie ohne Aufwand strahlen, was schließlich einen klanglich feinen, kontemplativen Bruckner ergibt. Einen in Lauerstellung aber, einen, der im Scherzo vulkanartig dramatische Urkraft entfaltet. Mag man sich da und dort mehr Spannkraft erhofft haben, so bleibt man schließlich doch etwas ratlos - angesichts der Einsicht, dass es auch so klingen kann oder mitunter so klingen muss. Wohl der Hypnotismus der Boulezschen Logik. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28./29. 7. 2001)