von Peter Cossé
Salzburg - Anspruchsvoll in Thematik und Präsentation verfolgten die Festspiele mit zwei Konzerten ihr Ziel, ein - spürbar verjüngtes - Publikum nicht nur mit schönen Produkten zu versorgen, sondern Hör- und Erlebensperspektiven zu öffnen, Bildung in Form von Nachdenklichkeit zu protegieren - kurzum: der Konzertsaal als weiträumiges Studierzimmer im Sinne gescheiter Unterhaltung.

In der Reihe Erzählte Musik handelte es sich um zwei Stücke des Sehnens und des Entsagens, um den hochzeitlichen Beginn des dritten Aufzugs aus Wagners Lohengrin (samt Liebesduett in Szene 2!) und um Béla Bartóks Operneinakter Herzog Blaubarts Burg - zwei Passagen von großer Situationsschärfe, zwei Opera an der Schwelle von später Romantik und romantischer Moderne.

Deren schöne Geschwollenheit (Wagner) und blutig asketische Schwermütigkeit (Bartók) wirkte von dem Budapest Festival Orchestra unter Iván Fischerden im Detail wie im weiten Schwung der taktübergreifenden Mitteilung geradezu mit der Lust einer selbstbewussten, für Salzburg motivierten Truppe ausgeleuchtet und abgedunkelt.

Mit Adrienna Pieczonka hatte man eine unverbrauchte, auf Genauigkeit achtende Elsa verpflichtet, ihr zur Seite den Holländer Albert Bonnema, dem die Lohengrin-Verfügungen in der bei Wagner leider allzu üblichen Verschliffenheit (Intonation, Rhythmus!) über die Lippen kamen, als hätte er kurz nach 11 Uhr vormittags schon den Tristan hinter sich.

Ildikó Komlósi als Judith und László Polgár als Blaubart sicherten im Bartók-Teil eine in Wort und Melos viel abgestimmter anmutende Leistung - sicher auch eine Frage der Werkerfahrung. Denn diese traumatische Wohnungsbesichtigung ist musikalische Umgangssprache für die beiden Interpreten schlechthin.

Die Detailarbeit

Beide Konzerte begannen sozusagen mit Zugaben. Fischer eröffnete mit dem knalligen Lohengrin-Vorspiel zum dritten Akt, Gardiner mit der Berlioz-Ouvertüre Le carnaval romain, wobei mit der Tschechischen Philharmonie schon hier die Vorlieben des detailliert dirigierenden Gardiners zum Vorschein kamen. Während Fischer ein Mann der verbindenden Rhetorik, der gefüllten Kelle ist, musiziert Gardiner mit der Pinzette.

Berlioz' liebreizende, aber auch laszive Nuits d'été-Gesänge seziert er, zeigt deren skelettartige Verknüpfungen. Überraschenderweise wurden diese Lieder nicht in Totalverantwortung einer Mezzosopranistin (in diesem Fall der Amerikanerin Susan Graham) vorgetragen, sondern - mit verteilten Rollen - von einem Terzett, in dem der Tenor Mark Padmore mit schmalem, keuschen Stimmlein zwei, der etwas kräftiger gestaltende Bariton Russell Braun gar nur eine Nummer zu betreuen hatte.

Gardiner wird seine Gründe gehabt haben, so wie er diese überzeugend darlegte, als es um Schostakowitschs Fünfte ging. Man durfte es sich ausmalen, wie Gergiev das Werk auf Hochtouren gebracht hätte, während Gardiner eher die feine russische Klinge führte. Auch das ein Erlebnis! (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 8. 2001)