Jerusalem/Wien - Nach Terminologie der israelischen Tageszeitung Ha'aretz eine "Hit List" - also eine Abschussliste - hat die israelische Regierung jetzt vorgelegt: Sie enthält die Namen von sieben mutmaßlichen Terroristen, die die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) trotz Aufforderung Israels nicht verhaftet hat. Der Zweck ist klar, und dafür wird auch die Warnung der Betroffenen in Kauf genommen - denn "Abschussliste" ist ja im Rahmen der israelischen Liquidationspolitik von mutmaßlichen Terroristen durchaus wörtlich zu nehmen: Den Kritikern dieser Politik soll signalisiert werden, dass Israel erst zum Mittel der von aller Welt als extralegal bezeichneten Tötungen greift, wenn es alle anderen Wege probiert hat. Apropos Warnungen, vielleicht sind die sieben Namen ja auch nicht die ganze Wahrheit: Laut Yediot Aharonot hatte die Armee der israelischen Regierung unter Ariel Sharon Anfang Juli eine "Todesliste" von 26 Namen vorgelegt, die auch abgesegnet wurde. Jedenfalls war die Ermordung des 26-jährigen Hamas-Mannes al-Madiri am Sonntag der dritte Schlag dieser Art in nur einer Woche - der erste mit acht Toten, darunter zwei Kindern, ebenfalls gegen die Hamas, der zweite mit einem Verletzten, gegen die Fatah gerichtet. Nach palästinensischen Angaben starben seit Beginn der Intifada Ende September bereits 40 Palästinenser auf diese Art - durch gezielte Angriffe mit Tötungsabsicht. Israelische Sicherheitsexperten geben sich überzeugt, mit den "Eliminationen" die Fähigkeit der Hamas, Anschläge in Israel zu verüben, schwer geschädigt haben. Besonders die "Liquidation" des Hamas-Führers Jamal Mansour bewerten Experten als von der gleichen Dimension wie die des Hamas-"Bombeningenieurs" Ayyash im Jahr 1996. Allerdings ist dieser Fall zugleich das beste Gegenbeispiel: Die auf die Ermordung Ayyashs und die des Jihad-Führers Fathi Shkaki folgende blutige Anschlagsserie in Israel trug unter anderem wesentlich dazu bei, dass Shimon Peres die Wahlen gegen Benjamin Netanyahu verlor. Die internationale Kritik am Vorgehen Israels wird lauter, auch innerhalb Israels, wo die Friedensbewegung langsam wieder aufwacht (am Samstag gab es erstmals wieder eine größere Demonstration). Die israelische Praxis der gezielten Tötung militanter Palästinenser sei "unmoralisch, ungesetzlich und nutzlos", sagt etwa der ehemalige Knesset-Abgeordnete Uri Avnery, der bei der israelischen Rechten allerdings fast schon so beliebt ist wie Yassir Arafat. Kritik kam auch von der EU, und Israels Staatspräsident Moshe Katzav ging zuletzt in einem Interview in der Jerusalem Post mit den Europäern hart ins Gericht, er beschuldigt sie, die Palästinenser "zur Fortsetzung des Terrors" zu ermutigen. Aber auch vom Verbündeten USA kommen unwillige Töne, wobei Colin Powell die israelkritische, Vizeminister Dick Cheney die apologetische Rolle zukommt. Kritisiert wurde inoffiziell nicht nur die Praxis der Tötungen an sich, sondern auch, dass von den USA geliefertes Militärgerät dafür eingesetzt wird. Die britische Zeitung Independent meldete am Samstag, die - bei Israels Rechter absolut verhasste - BBC habe auf Druck von israelischer Seite ihre Praxis aufgegeben, das israelische Vorgehen als "Ermordung" zu bezeichnen, jetzt sprechen BBC-Journalisten nur noch von "targeted killing", gezielter Tötung - was wiederum die Kritiker Israels aufregt. Auch die - im STANDARD geübte - Praxis, die israelische Terminologie in Anführungszeichen zu setzen, schützt übrigens nicht vor Kritik. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. August 2001)