Venedig/Rom - Ein Anschlag auf das Gerichtsgebäude in Venedig hat am Donnerstag schweren Sachschaden verursacht und das aufgeheizte politische Klima in Italien weiter verschärft. Die Bombe, die nach Aussagen der Polizei aus mehreren Kilo Sprengstoff bestand, explodierte um 3.30 Uhr im Heizraum des Gerichtsgebäudes und verwüstete den benachbarten Marktplatz in unmittelbarer Nähe der Rialtobrücke. Die heftige Explosion, die in ganz Venedig zu hören war, zerstörte die Mauer des Gerichts und beschädigte die Gebäude in der Umgebung des bei den Venezianern beliebten Marktes. Zwei Polizisten wurden mit einem Schock ins Krankenhaus gebracht. Ein Bekennerschreiben lag noch nicht vor. Ob der Anschlag mit dem am Nachmittag geplanten Besuch des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi zusammenhängt, ist unklar. Der Bürgermeister von Venedig sprach von einem "demonstrativen Akt", für den "Venedig als Bühne benützt" worden sei. Die Ermittlungsbehörden äußerten sich nicht zu möglichen Hintergründen des Anschlags. Sie bestätigten lediglich, dass Spuren von Sprengstoff gefunden worden seien. Berlusconi traf wie geplant am Nachmittag in Venedig ein, wo er mit Politikern der Region Venetien neue Straßenbauprojekte erörterte. Vor seinem Abflug aus Rom kritisierte der Regierungschef das "Klima wachsender Gewalt". Nach dem Gipfel von Genua, habe man "nicht die Gewalttäter, sondern die Ordnungshüter auf die Anklagebank gesetzt". Die Proteste der Globalisierungsgegner seien "gegen die Regierung verwendet" worden. Der Nato-Gipfel im September in Neapel werde wie geplant stattfinden. "Niemand kann mich erpressen", sagte Berlusconi und verwies auf Drohschreiben, die er erhalten habe. Der Präsident der Region Venetien, Carlo Galan, sprach von "einem roten Faden, der Gewalttäter mit Teilen der Linken verbindet". Der Vizebürgermeister von Venedig, der Grüne Gianfranco Bettin, sieht Italien "am Scheideweg zwischen einer Wende zum autoritären Staat und dem Abgleiten in die Gewalt". Die Präsidenten von Kammer und Senat Ferdinando Casini und Marcello Pera appellierten an alle Parteien, zum Dialog zurückzukehren und zur Entschärfung des politischen Klimas beizutragen. Im Zusammenhang mit dem umstrittenen Polizeieinsatz in Genua drohen laut Innenministerium nun mindestens neun Beamten Disziplinarstrafen. Sieben sollen bei der Razzia in jener Schule dabeigewesen sein, die dem Genua Social Forum als Unterkunft diente. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.8.2001)