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Foto: Reuters/Mayami
Ein kleiner Bub lässt ein paar Münzen in die Gabenkiste klimpern, Vater und Mutter verharren mit gebeugtem Kopf neben dem Kind. Dann flüchten alle drei in den Vorhof, wo riesige Ginkgo-Bäume Schutz vor der brennenden Augustsonne bieten. Eine friedliche Stimmung herrscht im Yasukuni-Schrein. "Ich komme jeden August her, um für meinen Großvater zu beten", sagt Vater Endo. Aber die ausländischen Journalisten, die ihn beobachten, verunsichern den Mann. "Ich befürworte den pazifischen Krieg keineswegs. Mein Großvater, ein armer Arbeiter, wurde damals gezwungen, am China-Feldzug mitzumachen", fügt Endo hinzu. Aber die Endos wissen auch, dass der Schrein, wo sie ein Picknick beginnen, einer der umstrittensten Orte Japans ist. Heuer ist der Yasukuni-Schrein wieder zum Mittelpunkt eines diplomatischen Schlagabtausches zwischen Japan, China und Südkorea geworden, nachdem Premier Koizumi seit Monaten verkündet, dass er hier am 15. August offiziell einen Besuch abstatten will. Der Aufschrei der asiatischen Nachbarn ist verständlich. Im Yasukuni-Schrein ruhen nicht nur die Seelen gefallener japanischer Soldaten, sondern hier werden auch 14 Kriegsführer aus dem Zweiten Weltkrieg geehrt, die als Kriegsverbrecher verurteilt worden waren. Darunter auch General Hideki Tojo, der damalige Ministerpräsident und Oberbefehlshaber, der den Krieg gegen China und später die Alliierten führte. Für die asiatischen Nachbarn ist deshalb ein offizieller Besuch Koizumis äußerst verletzend. Schwere Verbrechen Mehr als sechs Millionen Asiaten haben ihr Leben gelassen, als die japanische Armee ihren Eroberungsfeldzug von der koreanischen Halbinsel bis Indonesien führte. Die Japaner haben die unterjochten Völker ausgebeutet und schwere Kriegsverbrechen begangen, die teils bis heute nicht geahndet sind. Mehr als 200.000 Frauen wurden von der Armee als Sexsklavinnen missbraucht. Obwohl Außenministerin Tanaka, die gesamte politische Opposition und prominente Vertreter der Regierungspartei Koizumi raten, den Besuch abzusagen, beharrt Koizumi noch auf seinem Vorhaben. Er werde eine "reife Entscheidung" treffen, sagte er diese Woche. Vor Koizumi besuchte nur Yasuhiro Nakasone 1985 den Schrein offiziell als Premier. Damals löste er eine diplomatische Krise aus, die erst nach drei Jahren und vielen Milliarden zusätzlichem Entwicklungshilfegeld Japans gelöst werden konnte. Für Koizumi sieht die Situation anders aus. Gerade plant die Regierung, die Entwicklungshilfegelder um zehn Prozent zu kürzen, wobei vor allem China weniger bekommen soll. Auch Südkorea ist verärgert. Ein Fischereistreit belastet das Verhältnis, und mit China zusammen protestiert Südkorea gegen die Neuauflage von Schulbüchern, die die Kriegsvergangenheit beschönigen oder verschweigen. Koizumi gilt jedoch als störrischer Politiker, und da er den Besuch nun einmal in Aussicht gestellt hat, wird er wohl nur durch starken internationalen Druck davon abzuhalten sein. Umfragen in konservativen Zeitungen des Landes stärken ihn: Gemäß der führenden Yomiuri Shimbun sind 40 Prozent der Japaner für den Besuch und nur 34 dagegen. (DER STANDARD, Print, 11.8.2001)