Als der Kurzzeit-Chefredakteur der Presse, Michael Maier, vor seinem Wechsel nach Berlin Mitte der 90er-Jahre mit einer Wien-Beschimpfung unter den Abendländern einen Skandal auslöste, sagte Otto Schulmeister in einem profil-Gespräch: "Manchmal haben Skandale eine reinigende Wirkung. Wenn es diese Belebungsmittel nicht mehr gibt, dann gehen wir am besten nach Hause, nehmen ein Schlafmittel und überlassen die Republik dem, der sie vielleicht noch weiterführen will - als Gaststätte oder sonst was." Die Verwandlung Österreichs in einen Vergnügungstempel und der damit verbundene Verlust von Exzellenz und Ehrgeiz war in der Tat die Horrorvision dieses Konservativen, der mit Zeitgenossen verschiedener Lager (Otto Mauer, Franz König, Bruno Kreisky, Hanns Koren) etwas teilte, worum ältere Menschen immer kämpfen sollten: offen zu sein für das Neue und Experimentelle, auch wenn es den eigenen Positionen nicht entspricht. In den 60er-Jahren wäre der Bruch mit den Verfilzungen der Proporzära ohne die publizistischen Vorstöße Schulmeisters (und anderer wie Gerd Bacher, Hugo Portisch, Fritz Csoklich) nicht gelungen. Das Buch Die Zukunft Österreichs (1967) des Presse-Chefredakteurs von 1961 bis 1976 war Summe und Perspektive dieses Bemühens zugleich. Dem alten Österreich verpflichtet In der katholischen Monatszeitschrift Wort und Wahrheit bereitete er mit dem Kunstmäzen und Kritiker Otto Mauer seit den 50er-Jahren den Aufbruch der Kirche vor, mit der Herausgabe von Imago Austriae (zusammen mit Christoph Allmayer-Beck und Adam Wanderuzka) verpflichtete er sich dem alten Österreich, in der Debatte der Chefredakteure, einer TV-Talkshow, lange bevor es diesen Begriff überhaupt gab, probierte er die Möglichkeiten der Telekratie aus und wurde dadurch bekannter, als er es mit der Presse je vermocht hätte. Seine Zeitung, die erst durch die Styria und die Verkleinerung ihres Formats aus dem Auflagentief herausfand, erhielt und behielt durch die streitbare Persönlichkeit Schulmeisters jene relative Unabhängigkeit vom ÖVP-Wirtschaftsbund, die sie zweifach attraktiv machte: als sprachlich und thematisch herausragende Schule für ambitionierte Junge, als abendländische Orientierung für Alte. Schulmeister hat es sich im Geist des Widerspruchs und der Wahrheitssuche selbst nie leicht gemacht. Dasselbe galt im Umgang mit seinen jungen Journalisten und mit der eigenen Familie. Die Lebenswege der Kinder dieses heftigen Publizisten und seiner stillen wie feinsinnigen Frau repräsentieren gleichwohl die österreichische Wirklichkeit: der ORF-Journalist Paul, der Wirtschaftsforscher Stephan, die Caritas-Aktivistin Clara, die Feministin Agnes und die Mühl-Kommunardin Theresa. "Gewissen", "Mahner" und "Warner" Auch Schulmeister, der am Freitag im 86. Lebensjahr gestorben ist, wird von der Politik, wie viele Große, mit Vokabeln aus dem Repertoire der Nachrufe gelobt. Als "Gewissen", als "Mahner und Warner", als "überzeugter Österreicher". Stattdessen sollten die prominenten Grabredner sich an ihm ein Beispiel nehmen. Und nachvollziehen, was der Verstorbene vorgezeichnet hat. (Gerfried Sperl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13. 8. 2001)