"Star Wars" lebt und ist nicht umzubringen. Dies ist - neben der neuen, unilateralistisch orientierten Regierung in Washington - vor allem Donald Rumsfeld zu verdanken. Der derzeitige US-Verteidigungsminister ist schon seit der Ära von Präsident Richard Nixon ein altgedienter Falke. Später war er dann Nato-Botschafter in Brüssel in Nuklearangelegenheiten, unter Präsident gerald Ford das erste Mal Verteidigungsminister. Aus dieser Zeit stammt bereits seine Übertreibungskunst in Sachen Bedrohungswahrnehmung. Die sowjetischen Waffensysteme und deren angebliche Fähigkeiten wurden systematisch und gezielt übertrieben dargestellt. In der späten Clinton-Ära erzwang der republikanisch dominierte Kongress die Einsetzung einer nach Rumsfeld genannten Kommission, die als größte Bedrohung für die Sicherheit der USA Interkontinentalraketen (ICBM) mit Massenvernichtungswaffen aus Bagdad oder Pjöngjang prognostizierte. Europa steht abseits Mittlerweile ist diese Form von Bedrohungswahrnehmung fast zu einem strategischen Autismus geworden, dem in Europa niemand wirklich zu folgen mag. Die Europäer haben die Ambitionen der US-Regierung bisher ebenfalls unterschätzt. Weder wurde ein derart unilaterales Vorgehen vorhergesehen, noch die Geschwindigkeit, mit der nun das Weiße Haus bei der Raketenabwehr vollendete Fakten schaffen will. Worum geht es also bei der Neuauflage von "Star Wars" wirklich. Bei einem Test im Juli dieses Jahres ging es um die technische Demonstration, dass der Sprengkopf einer anfliegende ICBM im Weltraum punktgenau zerstört werden kann. Das ist jetzt - trotz Ausfall des Radars, aber mithilfe eines Peilsenders - gelungen. Die Versuchsanordnung wurde dabei so stark vereinfacht, dass nicht von einem realistischen Test gesprochen werden kann. Das Zerstörungsvehikel hatte die Infrarotsignaturen der Sprengkopf-Attrappe wie auch des einzigen Täuschkörpers bereits einprogrammiert. In den nächsten Jahren sollen zwanzig weitere ähnliche Tests im Umfang von jeweils 100 Millionen Dollar, insgesamt 320 Milliarden Schilling folgen. Clintons Limits Bill Clintons Ansatz hatte noch darin bestanden, klare Kriterien für eine positive Entscheidung zugunsten NMD (National Missile Defense) definiert zu haben: die Frage der Verfügbarkeit der Technologie, die Auswirkungen auf die Rüstungskontrolle, die tatsächliche Bedrohung sowie die Kosten. All dies ist nun zweitrangig geworden. Im Vordergrund steht der feste politische Wille, so schnell wie möglich "irgendetwas" zu stationieren, um vollendete Fakten zu schaffen und den ABM-Vertrag auszuhebeln, bevor die erste Amtsperiode von George W. Bush endet. Noch vor dem Test wurde im Streitkräfte-Ausschuss des Kongresses Klartext geredet, entsprechende Anweisungen an die US-Botschaften wurden weltweit verschickt. Pikant dabei ist, dass von der Konsultationsbereitschaft gegenüber den Verbündeten und Russland keine Rede mehr war. Es werde binnen Monaten und nicht Jahren mit einer Verletzung des ABM-Vertrages zu rechnen sein, heißt es dort. Weiters soll bis 2004/2005 unter dem Vorwand einer erweiterten Test-Tätigkeit in Fort Greeley und Kodiak Island in Alaska ein rudimentäres Raketenabwehrsystem mit fünf bis zehn Abfangraketen (Interzeptoren) für Interkontinentalraketen installiert werden. Ebenso sollen wieder alte SDI-Konzepte, wie weltraumgestützte Laser in das Programm aufgenommen werden. Der Test eines luftgestützten Lasers in einem umgebauten Boeing-Jumbo ist für 2003 vorgesehen. Für die Weltraumlaser ebenso wie für das aus SDI-Zeiten stammende Konzept "brilliant pebbles" wurden 110 Millionen Dollar für das Budget 2002 beantragt. Bereits mit dem Beginn einer Bautätigkeit für landgestützte Interzeptoren und mit anderen geplanten Entwicklungen in Richtung auf eine "vielfältig geschichtete Raketenabwehr" werden diese Vertragsverletzungen seitens der USA vorliegen, so der jetzt demokratisch dominierte Kongress nicht doch noch die Notbremse zieht und die Mittel dafür verweigert. Der ABM-Vertrag galt bis zum Amtsantritt der Bush-Administration sowohl für Clinton wie auch bei allen Nato-Partnern - in Russland sowieso - als "Eckpfeiler der strategischen Stabilität". Was hatte diese Stabilität bislang bedingt und weshalb betrachtet die Bush-Administration den Vertrag nun als unzeitgemäß? Der ABM-Vertrag ist ein bilateraler Vertrag zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion; er wurde zeitgleich mit dem ersten nuklearen Rüstungsbegrenzungsvertrag (SALT-I) 1972 abgeschlossen. Kerngedanke des ABM-Vertrages war es, jegliche Illusion über einen nuklearen Erstschlag durch den Schutz der eigenen Kernwaffen einer der beiden Supermächte denk-unmöglich zu machen. ABM-Definitionen Der ABM-Vertrag wurde zuletzt 1997 im Einvernehmen zwischen den USA und Russland modifiziert. In dieser jetzt gültigen Version verbietet er nicht nur ein landesweites strategisches Raketenabwehrsystem, sondern auch die Forschung und Entwicklung daran, sofern sie als strategisch angesehen wird. Die Unterscheidung zwischen strategisch und taktisch wird über verschiedene technische Parameter definiert, wobei eine größere Reichweite als 3500 Kilometer bzw. eine höhere Abfanggeschwindigkeit als fünf Kilometer pro Sekunde als "strategisch" und somit verboten gelten. Ebenso untersagt ist der Aufbau von ABM-Radaranlagen sowie von Laserwaffen gegen strategische Sprengköpfe. Das neue Aufflackern von Sternenkriegskonzepten der USA verdeckt jedoch völlig die Sicht auf die weitgehend unbemerkt gebliebene Tatsache, dass dieser Vorgang vor dem Hintergrund einer radikalen Strategieänderung in der nuklearen Abschreckung stattfindet, bei der gleichzei- tig wichtige multilaterale Rüstungskontrollverträge hinkünftig vom Weißen Haus boykottiert werden sollen. Dazu zählt auch der Umfassende Nuklearteststopp-Vertrag (CTBT), der von den USA noch nicht ratifiziert wurde. Es sind sogar erste Überlegungen zur Wiederaufnahme von Nukleartests seitens der Falken in Washington angestellt worden. Ähnlich ist die Situation bei der Bio- und Toxinwaffen-Konvention, bei der es nach jahrelangen Verhandlungen in Genf endlich die Chance auf eine Ratifikation gab. Nicht jedoch mit der Bush-Administration, die ebenfalls die Umsetzung eines Protokolls verweigert. Die USA waren im Kalten Krieg mit einigen herausragenden strategischen Intellektuellen die Erfinder der multilateralen Rüstungskontrolle, was zu einer wechselseitigen Zunahme an Sicherheit führte. Der einseitige Ausbruch aus dem ABM-Vertrag seitens der USA könnte in einem Prozess einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung mehr Unsicherheit erzeugen und jene Rüstungsmaßnahmen legitimieren, die genau diese Bedrohung abwenden sollen. Der Autor ist Leiter des Österreichischen Informationsbüros für Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle (OISR) in Linz. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15. 8. 2001)