International
Raketentests mit Nebelwerfern - Von Georg Schöfbänker
"Star Wars" lebt und ist nicht umzubringen. Dies ist - neben der neuen, unilateralistisch orientierten Regierung in Washington - vor allem Donald Rumsfeld zu
verdanken. Der derzeitige US-Verteidigungsminister ist schon seit der Ära von Präsident Richard Nixon ein altgedienter Falke. Später war er dann
Nato-Botschafter in Brüssel in Nuklearangelegenheiten, unter Präsident gerald Ford das erste Mal Verteidigungsminister.
Aus dieser Zeit stammt bereits seine Übertreibungskunst in Sachen Bedrohungswahrnehmung. Die sowjetischen Waffensysteme und deren angebliche
Fähigkeiten wurden systematisch und gezielt übertrieben dargestellt. In der späten Clinton-Ära erzwang der republikanisch dominierte Kongress die Einsetzung
einer nach Rumsfeld genannten Kommission, die als größte Bedrohung für die Sicherheit der USA Interkontinentalraketen (ICBM) mit
Massenvernichtungswaffen aus Bagdad oder Pjöngjang prognostizierte.
Europa steht abseits
Mittlerweile ist diese Form von Bedrohungswahrnehmung fast zu einem strategischen Autismus geworden, dem in Europa niemand wirklich zu folgen mag. Die
Europäer haben die Ambitionen der US-Regierung bisher ebenfalls unterschätzt. Weder wurde ein derart unilaterales Vorgehen vorhergesehen, noch die
Geschwindigkeit, mit der nun das Weiße Haus bei der Raketenabwehr vollendete Fakten schaffen will. Worum geht es also bei der Neuauflage von "Star Wars"
wirklich.
Bei einem Test im Juli dieses Jahres ging es um die technische Demonstration, dass der Sprengkopf einer anfliegende ICBM im Weltraum punktgenau zerstört
werden kann. Das ist jetzt - trotz Ausfall des Radars, aber mithilfe eines Peilsenders - gelungen. Die Versuchsanordnung wurde dabei so stark vereinfacht, dass
nicht von einem realistischen Test gesprochen werden kann. Das Zerstörungsvehikel hatte die Infrarotsignaturen der Sprengkopf-Attrappe wie auch des
einzigen Täuschkörpers bereits einprogrammiert. In den nächsten Jahren sollen zwanzig weitere ähnliche Tests im Umfang von jeweils 100 Millionen Dollar,
insgesamt 320 Milliarden Schilling folgen.
Clintons Limits
Bill Clintons Ansatz hatte noch darin bestanden, klare Kriterien für eine positive Entscheidung zugunsten NMD (National Missile Defense) definiert zu haben: die
Frage der Verfügbarkeit der Technologie, die Auswirkungen auf die Rüstungskontrolle, die tatsächliche Bedrohung sowie die Kosten.
All dies ist nun zweitrangig geworden. Im Vordergrund steht der feste politische Wille, so schnell wie möglich "irgendetwas" zu stationieren, um vollendete Fakten
zu schaffen und den ABM-Vertrag auszuhebeln, bevor die erste Amtsperiode von George W. Bush endet.
Noch vor dem Test wurde im Streitkräfte-Ausschuss des Kongresses Klartext geredet, entsprechende Anweisungen an die US-Botschaften wurden weltweit
verschickt. Pikant dabei ist, dass von der Konsultationsbereitschaft gegenüber den Verbündeten und Russland keine Rede mehr war. Es werde binnen Monaten
und nicht Jahren mit einer Verletzung des ABM-Vertrages zu rechnen sein, heißt es dort.
Weiters soll bis 2004/2005 unter dem Vorwand einer erweiterten Test-Tätigkeit in Fort Greeley und Kodiak Island in Alaska ein rudimentäres
Raketenabwehrsystem mit fünf bis zehn Abfangraketen (Interzeptoren) für Interkontinentalraketen installiert werden. Ebenso sollen wieder alte SDI-Konzepte,
wie weltraumgestützte Laser in das Programm aufgenommen werden. Der Test eines luftgestützten Lasers in einem umgebauten Boeing-Jumbo ist für 2003
vorgesehen. Für die Weltraumlaser ebenso wie für das aus SDI-Zeiten stammende Konzept "brilliant pebbles" wurden 110 Millionen Dollar für das Budget 2002
beantragt.
Bereits mit dem Beginn einer Bautätigkeit für landgestützte Interzeptoren und mit anderen geplanten Entwicklungen in Richtung auf eine "vielfältig geschichtete
Raketenabwehr" werden diese Vertragsverletzungen seitens der USA vorliegen, so der jetzt demokratisch dominierte Kongress nicht doch noch die Notbremse
zieht und die Mittel dafür verweigert.
Der ABM-Vertrag galt bis zum Amtsantritt der Bush-Administration sowohl für Clinton wie auch bei allen Nato-Partnern - in Russland sowieso - als
"Eckpfeiler der strategischen Stabilität". Was hatte diese Stabilität bislang bedingt und weshalb betrachtet die Bush-Administration den Vertrag nun als
unzeitgemäß?
Der ABM-Vertrag ist ein bilateraler Vertrag zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion; er wurde zeitgleich mit dem ersten nuklearen
Rüstungsbegrenzungsvertrag (SALT-I) 1972 abgeschlossen. Kerngedanke des ABM-Vertrages war es, jegliche Illusion über einen nuklearen Erstschlag durch
den Schutz der eigenen Kernwaffen einer der beiden Supermächte denk-unmöglich zu machen.
ABM-Definitionen
Der ABM-Vertrag wurde zuletzt 1997 im Einvernehmen zwischen den USA und Russland modifiziert. In dieser jetzt gültigen Version verbietet er nicht nur ein
landesweites strategisches Raketenabwehrsystem, sondern auch die Forschung und Entwicklung daran, sofern sie als strategisch angesehen wird. Die
Unterscheidung zwischen strategisch und taktisch wird über verschiedene technische Parameter definiert, wobei eine größere Reichweite als 3500 Kilometer
bzw. eine höhere Abfanggeschwindigkeit als fünf Kilometer pro Sekunde als "strategisch" und somit verboten gelten. Ebenso untersagt ist der Aufbau von
ABM-Radaranlagen sowie von Laserwaffen gegen strategische Sprengköpfe.
Das neue Aufflackern von Sternenkriegskonzepten der USA verdeckt jedoch völlig die Sicht auf die weitgehend unbemerkt gebliebene Tatsache, dass dieser
Vorgang vor dem Hintergrund einer radikalen Strategieänderung in der nuklearen Abschreckung stattfindet, bei der gleichzei- tig wichtige multilaterale
Rüstungskontrollverträge hinkünftig vom Weißen Haus boykottiert werden sollen.
Dazu zählt auch der Umfassende Nuklearteststopp-Vertrag (CTBT), der von den USA noch nicht ratifiziert wurde. Es sind sogar erste Überlegungen zur
Wiederaufnahme von Nukleartests seitens der Falken in Washington angestellt worden. Ähnlich ist die Situation bei der Bio- und Toxinwaffen-Konvention, bei
der es nach jahrelangen Verhandlungen in Genf endlich die Chance auf eine Ratifikation gab. Nicht jedoch mit der Bush-Administration, die ebenfalls die
Umsetzung eines Protokolls verweigert.
Die USA waren im Kalten Krieg mit einigen herausragenden strategischen Intellektuellen die Erfinder der multilateralen Rüstungskontrolle, was zu einer
wechselseitigen Zunahme an Sicherheit führte. Der einseitige Ausbruch aus dem ABM-Vertrag seitens der USA könnte in einem Prozess einer sich selbst
erfüllenden Prophezeiung mehr Unsicherheit erzeugen und jene Rüstungsmaßnahmen legitimieren, die genau diese Bedrohung abwenden sollen.
Der Autor ist Leiter des Österreichischen Informationsbüros für Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle (OISR) in Linz.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15. 8. 2001)