Hausfrauenporsche! Sekretärinnenferrari! Der Volksmund gab dem Karmann Ghia in den Fünfzigern nicht gerade schmeichelhafte Kosenamen mit auf die damals noch leeren Autobahnen. Dabei prägte das Coupe aus Osnabrück die Industriegeschichte der Nachkriegszeit maßgeblich mit. War es doch das "Missing Link" zwischen den brav dahinratternden Volumensmodellen vom harten Schlag eines VW Käfer oder einer BMW Isetta und den Porsches, Ferraris, Maseratis und Jaguars ... den Traumwägen jener Zeit. Italienisch pfiffige Baukasten-Power Der Ghia hatte von allem etwas: Das italienische Design gab dem Wagen Pfiff, die Technik aus dem Volkswagen-Baukasten Power. Zwischen 1955 und 1977 wurde das Coupe über 360.000 mal verkauft. Dem 1957 nachgereichten Cabrio erlagen 90.000 Hausfrauen und Sekretärinnen (samt deren Ehemännern, Anm.d.V.). Die eierlegende Milchwollsau verwies damit Kaliber wie den Porsche 356 oder den Mercedes 230 SL auf die Plätze. Einem reflexartigen "Unzulässiger-Äpfel-mit-Birnen-Vergleich"-Aufschrei der jeweiligen Community sei entgegengehalten: Coupe ist nun mal Coupe. Und Kult ist der Ghia sowieso. Unterschätzer Underdog Karmann, der Stall aus dem der schicke Allroundler stammt, feiert dieser Tage Geburtstag. Seit 100 Jahren sind die Osnabrücker eine fixe Größe im Automobilbau. Aus einem Kutschenbaubetrieb hervorgegangen wurden allein seit dem Zweiten Weltkrieg rund drei Millionen Fahrzeuge produziert. Trotzdem ist der Traditionsbetrieb ein Underdog. In der Branche sind die Osnabrücker als Systemlieferant für Cabrios und Sonderanfertigungen top. Der breiten Masse ist die Marke jedoch kaum geläufig, obwohl so mancher schon einen Wagen aus den Karmann-Produktionshallen fuhr, ohne es zu wissen. Im Unterschied zu reinen Automobilzulieferern, die sich auf spezielle Fahrzeugteile spezialisiert haben, ist Karmann ein "Full service supplier" der im Auftrag unterschiedlicher Hersteller Fahrzeuge entwickelt und komplett fertigt. Die VW Käfer- und Ford Escort-Cabriolets, die BMW Coupés, der VW Porsche 914 oder der VW Scirocco liefen und laufen bei Karmann vom Band. Das VW Golf-Cabrio markiert bislang den Höhepunkt: 600.000 Einheiten. Rekord. Blechdach-Philosphien Die Entwicklungsabteilung hat sich am Beginn des Jahrtausends vor allem der Konzeption von Verdecken verschrieben. Aktueller Image-Träger ist das pipifeine Blech-Faltdach des Mercedes SL. "Blech-Faltdach" klingt nach Ding der Unmöglichkeit. Der neue aus Untertürkheim beweist in genau 16 Sekunden das Gegenteil. So lange dauert das Auf-Zu. Diese und andere Neuentwicklungen schraubten den Umsatz des Auto-Konfektionärs auf 1,2 Milliarden Euro (16,5 Milliarden Schilling). Und einige der 6.000 MitarbeiterInnen arbeiten weiter an der Optimierung der Dach-Falt-und-Verpack-Geschichte und damit an dem kniffligen Haiku, eine viel zu große Heckscheibe unbeschadet einem viel zu kleinen Cabrio-Knackarsch unterzujubeln.