Bonn/Wien - Verantwortungslosigkeit im Zusammenhang mit der Lipobay-Affäre warf das deutsche Gesundheitsministerium gestern, Donnerstag, dem Pharmaunternehmen Bayer-Konzern vor. "Das Bundesministerium hat erst am 10. 8. auf Nachfrage eine neue Studie (Anm.: von Bayer) erhalten, die der Firma Bayer schon am 15. 6. vorlag", erklärte Staatssekretär Klaus Theo Schröder und drohte der Firma mit Konsequenzen aus ihrer "inakzeptablen Informationspolitik". Das Ministerium reagierte damit auf Meldungen in der deutschen Bild-Zeitung, dass den europäischen Behörden die gefährlichen Nebenwirkungen des Blutfettsenkers Lipobay schon seit längerem bekannt gewesen seien. Die Zeitung berief sich auf einen Prüfbericht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. 481 Verdachtsfälle Dazu erklärte Noel Wathion von der Europäischen Agentur für die Evaluierung Medizinischer Produkte (EMEA), London, im Gespräch mit dem STANDARD, Lipobay sei innerhalb der EU erstmals im Juni offiziell diskutiert worden. In den USA sei das Medikament freilich schon Monate zuvor in Verdacht geraten. Weltweit wurden bislang 481 Verdachtsfälle von Lipobay-verursachter Muskelzersetzung gemeldet, davon 52 mit tödlichem Ausgang. In Österreich bislang bei zwei Patienten Nebenwirkungen nachgewiesen In Österreich sind bislang bei zwei Patienten, beide aus Oberösterreich, Lipobay-Nebenwirkungen nachgewiesen, bestätigt Renate Jensch, Verantwortliche für die Abteilung Arzneimittel-Nebenwirkungen im Gesundheitsministerium, dem STANDARD. Das heimische Gesundheitssystem sei erstmals am 29. Juni im Rahmen des EU-Überwachungssystems wie auch von Bayer auf die Gefahren einer Einnahme des Medikaments zusammen mit dem Triglycerid-Senker Gemfibrocil (Markenname Gevilon) hingewiesen worden und habe sofort eine bundesweite Alarmmeldung an Ärzte und Apotheken ausgesandt. Erst als Bayer feststellen musste, dass diesbezüglich eine weltweite Kontrolle unmöglich sei, habe die Firma den Cholesterin-Senker am 8. August vom Markt genommen. Sammelklagen gegen den Bayer-Konzern laufen Unterdessen häufen sich die Sammelklagen gegen den Bayer-Konzern. Nach 50 Betroffenen in Oklahoma City startete nun auch in New Jersey Anwalt Ed Fagan ein Verfahren. Ein weiterer Anwalt drohte mit Beschlagnahme von Konzernvermögen in den USA. In München bereitet Anwalt Michael Witti eine Sammelklage deutscher Patienten vor. (Johanna Geissler, DER STANDARD Print-Ausgabe 17.August 2001)