Vom Zentrum von Buenos Aires ist es eine Dreiviertelstunde mit dem Taxi bis zu VW im Industrieviertel Pacheco. An der Pforte bekommen Gäste ein Namensschild, auf dem der Zweck des Besuchs "Dr. Rlima Victor" (sic!) steht. Auch die Sekretärin spricht von "Doktor Klima", obwohl der frühere Bundeskanzler das Informatikstudium mit dem Magister abgeschlossen hat. Der nunmehrige Boss von VW Argentina, Viktor Klima, begrüßt noch seine Frau Sonja, die im Minirock-Kostüm im Nebenzimmer Spanischunterricht nimmt, bevor er in sein Büro bittet. Da er fast nur Englisch rede, sei sein Spanisch noch nicht so gut, bedauert er und ist froh, "endlich wieder einmal Wienerisch reden zu können".Triste Aussicht Statt des Blicks auf den Ballhausplatz hat der Ex-kanzler seit knapp zehn Monaten den Ausblick auf das Werk von VW. Alles in Grau. Trist ist auch die wirtschaftliche Lage in Argentinien, das weltweit als größtes Sorgenkind gilt. Das trifft VW hart. Der nunmehrige Boss der argentinischen Tochter des deutschen Autokonzerns ist zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt vor zehn Monaten ins Land gekommen und redet nicht lange herum, dass "wir um 45 Prozent weniger haben" (siehe Artikel rechts). Es gebe "Hochs und Tiefs, die für europäische Dimensionen unvorstellbar sind". Der frühere SPÖ-Chef startete die Kostensenkung mit dem Ziel, 25 Prozent der Lohnkosten zu reduzieren. "Eine Mischung aus Golden-Handshake-Programm, Frühpensionierungen, Arbeitszeitverkürzung mit, wenn ich ehrlich bin, keinem Lohnausgleich." Es sei versucht worden, ohne Entlassungen auszukommen. Der Ein-Schicht-Betrieb bei einer Vier-Tagewoche wurde eingeführt. Als der Markt weiter einbrach, startete Klima vor acht Wochen ein neues Rationalisierungsprogramm: "Das führt dazu, dass wir eines der schlanksten Unternehmen im VW-Konzern werden. Ich nutze diese Krise, um das Unternehmen fit zu machen für bessere Zeiten." Einziger Lichtblick ist derzeit das Getriebewerk, weil es eine Exportquote von 90 Prozent hat. Ein neues Werk soll dazukommen mit einer Investition von 160 Millionen Dollar in zwei Jahren. Bevor Klima eine Antwort auf die Frage gibt, ob angesichts des wirtschaftlichen Umfeldes sein Vorstandsjob nicht ein Himmelfahrtskommando sei, zieht er noch einmal an seiner Zigarette: "Ich freue mich, in einer überschaubaren Firma mit knapp 4000 Leuten tätig zu sein. Wenn alles gut geht, braucht man eh keinen Manager", sagt er - und versucht ein Lächeln. Auch die Kleinkriminalität sei ein Problem. "Wenn Sie ein schönes Auto haben, dann passiert es, dass an einer Kreuzung plötzlich einer eine Pistole zückt und sagt: ,Rutsch mal rüber.' Sie können von Glück reden, wenn er nur sagt, fahren wir zum nächsten Bankomaten, und Ihnen noch ein Geld fürs Taxi lässt, wenn er mit dem Auto wegfährt." Sein Sicherheitsmann habe sich in einer solchen Situation, als er selbst nicht dabei war, einmal gewehrt. "Den zerschossenen Passat können Sie sich anschauen." Er habe deshalb die Order an die Mitarbeiter herausgegeben, in solchen Fällen "alles Geld herzugeben". Mit Korruption sei er zwar auch persönlich noch nicht konfrontiert gewesen, "aber das ist zweifelsohne auch ein großes Problem". Ob er seinen Wechsel nach Südamerika bereue aufgrund der bisherigen Erfahrungen? "Überhaupt nicht. Es ist alles sehr aufregend und macht Spaß." Und wie, um sich selbst zu überzeugen, fügt der 54-Jährige hinzu: "Es ist eine Riesenchance, wenn man in meinem Alter noch einmal ein gänzlich neues Leben anfangen kann. Neuer Kontinent, neue Kultur, neue Sprache - wie eine Frischzellenkur." Aber gleichzeitig schwärmt er von der "wunderbaren Landschaft in Österreich", und dass er sich "nach all den Steaks, zu denen es als Beilage nur Salat gibt, nach Knödln sehnt". Klima betont auch, dass er seit seinem Amtsantritt nur zweimal in Österreich gewesen sei. "In der innenpolitischen Situation bin ich weniger bewandert", behauptet er. In den Zeitungen sei nur zweimal etwas über Österreich gestanden: "Über das Unglück in Kaprun und wie der Haider den Muzicant geschimpft hat." Ob er in Argentinien häufiger auf Jörg Haider angesprochen werde? "Sicher. Aber ich kann immer mit gutem Gewissen sagen: Ich bin der, der keine Koalition mit der FPÖ eingegangen ist. Auch um den Preis, dass man nicht mehr in der Regierung ist." Strittige Pension Alle Fragen zu Österreich beantwortet Klima ganz knapp und blockt ab. Ausführlicher und emotionaler geht er auf Vorwürfe zu angeblichen Unkorrektheiten in Zusammenhang mit der Barauszahlung seiner OMV-Pension und seinem Anspruch auf die Kanzlerpension ein: "Ich war lange genug Politiker, um zu wissen, dass das Teil des Spiels ist. Nachdem das mit dem Hund, den wir angeblich in Österreich vernachlässigen, im Wiener Wahlkampf nicht so gezogen hat, hat die FPÖ die Abfertigungs- und Pensionsgeschichten gespielt. Ich war erstaunt, dass ich noch immer so wichtig bin, dass man meint, es zahlt sich aus, mich anzugehen." Er habe sich aber nichts vorzuwerfen, da alles korrekt sei. Noch drei Jahre ist Klima gewählter Vizepräsident der Sozialistischen Internationale. Obwohl er weiter in Kontakt mit europäischen Spitzenpolitikern wie Gerhard Schröder und österreichischen Parteifreunden stehe, komme für ihn aber "nicht mehr infrage, Berufspolitiker zu werden", beteuert Klima. "Obwohl es eine spannende Zeit war. Aber ich habe mir die Übergabe an meinen Nachfolger natürlich schöner vorgestellt." Dies sei aber an Wolfgang Schüssel gescheitert. Nachdrücklich, fast im Beschwörungston, sagt der frühere Regierungschef: "Es ist gut, wenn man eine emotionale Distanz hat. Zu allem, was sich abgespielt hat." Inzwischen hat es zu regnen begonnen, und die Wege auf dem Gelände sind verschlammt. Der Taxifahrer hat wegen der schmutzigen Schuhe Fetzen ins Auto gelegt. (DER STANDARD, Print, 18./19.2001)