Nach einem Abend voller Kontroversen im Publikum betrat am Freitag, kurz vor 22.30 Uhr Regisseur Hans Neuenfels mit stoischer Gelassenheit die Bühne der Salzburger Felsenreitschule, um sich seine Buhrufe abzuholen. Sie fielen zwar heftiger aus als zuvor für den Dirigenten Marc Minkowski, mussten sich aber auch gegen kräftigen Applaus durchsetzen, während ein guter Teil des Publikums bereits die Flucht ergriffen hatte.

Diese "Fledermaus" dürfte niemanden gleichgültig gelassen haben. Neuenfels hat seine Schuldigkeit getan und bei der vorletzten Musiktheaterpremiere der Festspielintendanz von Gerard Mortier für Diskussionsstoff gesorgt. Ob er dem Werk etwas Gutes getan hat, darf bezweifelt werden.

Überdosis an Ideen

Neuenfels schüttet die weltberühmte Operette mit Ideen zu. Einerseits deutet er sie als Alptraumspiel der bürgerliche Sehnsüchte und Abgründe, andererseits möchte er den für den Faschismus aufbereiteten Boden der Gesellschaft zeigen und siedelt die Handlung in den zwanziger, dreißiger Jahren an. Er nimmt mancherlei Text- und Musikzitate hinein, baut den Frosch (Elisabeth Trissenaar) zu einer durchgängigen Kommentatorenfigur aus und überfrachtet das Stück.

Am heftigsten Widerspruch erregte die Deutung des Rastalocken tragenden Prinzen Orlofsky (David Moss), der sich als Kokainkönig durch seinen Part mehr krächzt als singt. Elzbieta Szmytka besticht als sehr präsente Rosalinde, der Rest des Ensembles hat Mühe, sich gegen die Bilderflut gesanglich zu behaupten. Das Mozarteum Orchester hat unter Marc Minkowski Mühe, für diese eigenwillige Inszenierung die rechten Töne zu finden – nach Johann Strauß klingen sie nicht immer.

Mortier: "Ich persönlich bin sehr glücklich"

"Ich persönlich bin sehr glücklich, dass ich das gemacht habe. Es ist Theater, wie es sein sollte: aufwühlend, provokativ und herausfordernd!" – So äußerte sich der scheidende künstlerische Leiter der Salzburger Festspiele, Gerard Mortier, über die "Fledermaus"-Premiere.

Mortier freute sich über den "wirklichen Kontakt zwischen Bühne und Publikum", der zu spüren gewesen wäre. "Ich glaube an die Arbeit, sie war sehr wichtig. Man muss doch sehen, dass man sonst im klassischen Bereich immer versucht, die Schärfe und die Provokation abzurunden. Man vergisst, dass schon Johann Strauß den Text als Provokation gewählt hat."

Sehr große Hinterfragung

Die Inszenierung von Hans Neuenfels wäre "eine sehr große Hinterfragung", der man mangelnde Ernsthaftigkeit nicht vorwerfen könne, über Sinn und Ursprung der Wiener Operette: "Wir haben monatelang daran gearbeitet. Es ist die vielleicht präziseste Arbeit seit langem. Es war ein sehr ernsthafter Abend – ob man ihn nun gut findet oder nicht, ist etwas Anderes."

Mortier deutete an, dass es für die Folgevorstellungen Adaptionen im Dialog geben könnte. "Es könnte sein, dass wir da manches kürzen, anderes verschärfen. Das muss aber Neuenfels entscheiden."

Zuchthaus

Auf die gestrigen Publikumsreaktionen angesprochen meinte Mortier: "Jemand hat mir gestern gesagt, ich sollte sofort in ein Zuchthaus gesteckt werden. Da dachte ich, es war wichtig, diesen Abend zu machen." Für die weiteren Aufführungen erwartet sich der Intendant sehr unterschiedliche Reaktionen: "Bei der Generalprobe war etwa die Arie Orlofskys ein großer Erfolg. Und auch der 'Figaro' wird jetzt vom Publikum total angenommen." (APA)