Wien - Der Grüne Bildungssprecher Dieter Brosz schlägt einen großangelegten Reformprozess im österreichischen Bildungswesen vor. Durch ideologische Differenzen früherer Regierungen sowie durch die fehlende Zwei-Drittel-Mehrheit der ÖVP-FPÖ-Koalition herrsche in der Bildungspolitik ein "massiver Blockadeprozess", kritisierte Brosz bei einer Pressekonferenz am Dienstag. Er will im Herbst eine Bildungskommission nach dem Vorbild des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfahlen einsetzen. "Öffnung des Systems" Diese Kommission - unter Einbindung von Experten aller Bildungsbereiche sowie der Wirtschaft, aber ohne Politiker-Beteiligung - solle die Rahmenbedingungen für eine Reform festlegen, meinte Brosz. Idealer Auftakt wäre seiner Meinung nach die von der ÖVP für den Herbst angekündigte Enquete zur Bildungspolitik. Außerdem fordert Brosz die "Förderung und Zulassung von Schulversuchen als Experimentierfeld im Bildungswesen" und damit die "Öffnung des Systems für Ansätze, die von unten kommen". "Wir sind bereit, das mitzutragen" Derartige Schulversuche kann sich Brosz etwa zur Integration, zur Gesamtschule und zur sprachlichen Förderung vorstellen. Außerdem könnten damit neue Modelle der Leistungsbeurteilung geschaffen werden, etwa der Verzicht auf Noten in der Volksschule. Die Ergebnisse von Kommission und Schulversuchen würden zwar "nicht eins zu eins das sein, was die Grünen wollen, wir sind aber bereit, das mitzutragen, wenn es zu Verbesserungen kommt", betonte Brosz. "Es hapert an den Rahmenbedingungen" Das derzeitige Bildungssystem stamme noch aus einer Zeit, in der lebenslanges Lernen und Teamfähigkeit noch kein Thema gewesen seien, so Brosz. Dies müsse vom Schulsystem nun gefördert werden. Ziel der Bildungs-Reform sei aber nicht die Schaffung neuer Fächer, sondern die fächerübergreifende Vermittlung von sozialem und anwendungsorientiertem Lernen, betonte Brosz. Hier sei vor allem die Politik gefordert: "Es hapert nicht an individuellen Leistungen (der Lehrer, Anm.), es hapert an den Rahmenbedingungen." "Politik der Geheimniskrämerei" Zur Schaffung verbesserter Rahmenbedingungen fordert Brosz außerdem die Verbesserung der Datenlage im Bildungsbereich. Derzeit betreibe das Bildungsministerium eine "Politik der Geheimniskrämerei". Beispielsweise sei nicht bekannt, wieviele Interessenten derzeit von den einzelnen Schultypen abgewiesen werden: "Wenn man nicht weiß, wo die Nachfrage ist, kann man kein Angebot schaffen", so Brosz. FPÖ will Politiker nicht aus Verantwortung entlassen Nach Ansicht von FPÖ-Bildungssprecher Karl Schweitzer herrscht nach der Forderung des Grünen Bildungssprechers Dieter Brosz nach einem groß angelegten Reformprozess im Bildungswesen nun bei allen im Parlament vertretenen Parteien Einigkeit darüber, "dass nach 30 Jahren sozialistisch dominierter Bildungspolitik auf diesem Sektor endlich etwas geschehen muss". Dagegen ist Schweitzer gegen den Vorschlag Brosz', die Politik aus der Bildungsdebatte zu entlassen. "Scheinbar haben die Grünen nichts zur österreichischen Bildungspolitik beizutragen, ich hingegen schon", so Schweitzer in einer Aussendung. Bildungsgipfel oder Enquetekommission Eine einmalige Enquete hält Schweitzer für zu wenig. Er präferiere einen Bildungsgipfel oder zumindest eine Enquetekommission. Die Diskussion müsse über einen längeren Zeitraum laufen, damit die entsprechenden Rahmenbedingungen für eine Bildungsreform geschaffen werden könnten. Als wichtige Punkte einer Bildungsreform nannte Schweitzer "ein Prognoseverfahren für die Aufnahme in die AHS, die Umlenkung der Schülerströme, die Attraktivierung der Hauptschule, ein Berufsvorbereitungsjahr anstatt des Polytechnischen Lehrgangs, die Oberstufenreform, die Reform der Lehreraus- und weiterbildung und die Dienstrechts- und Besoldungsreform". (APA)