Kultur
Wer Kultur will, muss klettern können
An Behinderte hat bei Planung und Bau niemand gedacht.
Zwei Monate nach der Eröffnung des Vorzeigekulturareals der Republik, des
Museumsquartiers, werden dessen Schwächen offenbar: An Behinderte hat bei
Planung und Bau niemand gedacht. Behindertenvertreter überlegen nun zu klagen.
Wien - Selbst Anleitungen, die Manfred Srb für "deppensicher" hält, wie jene zum Bau
von Behindertentoiletten, wurden nicht umgesetzt. Das ist für den Sprecher vom
Behindertenberatungszentrum "Bizeps" höchst ärgerlich: "Wozu besprechen wir denn
alles im Vorhinein?" Sogar ein Merkblatt samt Detailskizzen (eben wie ein
Behinderten-WC zu bauen sei) habe er der Bauleitung für das Museumsquartier
übergeben. Festgehalten sind die Bemühungen von Manfred Srb in Aktenvermerken.
"Ich hätte mich nicht darauf verlassen sollen, dass das umgesetzt wird", seufzt er jetzt,
zwei Monate nach der Eröffnung des Zwei-Milliarden-Kulturbaus.
Seither ist Srb, selbst im Rollstuhl sitzend, dreimal zum Praxistest gerollt und hat das
Museumsquartier auf seine Behindertentauglichkeit geprüft. Die Mängelliste ist
mittlerweile drei DIN-A4-Seiten lang: Der Rollstuhlfahrer hat dargelegt, wo und wie er
gescheitert ist, die Sehenswürdigkeiten im MQ zu erreichen. Parallel dazu hat auch
Grünen-Behindertensprecherin Theresia Haidlmayr (ebenfalls Rollstuhlfahrerin) einen
mehrseitigen Mängelbrief verfasst.
Die Behinderung Gehbehinderter, fanden beide Lobbyisten heraus, beginnt schon vor
den Toren des Quartiers: in der Parkgarage. Und an zu hohen Gehsteigkanten. Für
Blinde wiederum ist es umgekehrt: außerhalb des Museumsquartiers ein Leitsystem
in Brailleschrift. Innen nicht.
Gedankenlosigkeit
Ähnlich wie bei anderen modernen öffentlichen Bauten (DER STANDARD berichtete
immer wieder) führt vor allem Gedankenlosigkeit zu unnötigen Barrieren für
Behinderte, ärgert sich Srb: "Dazu kommt noch Schlampigkeit."
Im gesamten Areal finden sich Stufen. Für nicht behinderte Besucher kein Problem.
Für Rollstuhlfahrer Endstation auf dem Weg zur Kunst. Srb vermutet, dass beim Bau
weder die Önorm 1600/1601 für behindertengerechte Bauweise noch die Wiener
Bauordnung eingehalten wurden. Nicht einmal die Nachbesserungen sind zufrieden
stellend: Beim Durchgang zur Breite Gasse wurde nachträglich über flache Stufen eine
Holzrampe gelegt, die Steigung "dürfte mehr als zehn Prozent betragen", ist also nicht
gesetzeskonform. Die Behindertentoilette in der Kunsthalle sei schlecht
angeschrieben und - hinter einer "schwergängigen massiven" Tür verborgen - falsch
montiert: zu hoch, zu eng. Zynisch kommentiert Srb das Behinderten-WC im Zoom
Kindermuseum: "Die Benützung konnte erfolgreich verhindert werden." Außerdem: Ins
Museum moderner Kunst kämen Rollstuhlfahrer durch eine Drehtüre. Nur: Die ist zu
schmal. Der Bauprokurist des Museumsquartiers, Helmut Moser, verweist darauf,
dass Behindertenvertreter des Magistrats in die Planung eingebunden gewesen
seien. MQ-Verwalter Alexander Herberstein weiß um Baumängel: "Wir werden auch
massiv damit konfrontiert." Für die Bauausführung sei ein Ingenieurbüro zuständig
gewesen, aber "wo wir können - und es keine größeren Kosten verursacht - werden
wir nachjustieren". Solche Worte will der "einschlägig erfahrene" Herr Srb nicht mehr
glauben: Er droht mit einer Klage, wenn es "wieder nur schöne Worte sind". Weil:
"Abschasseln lasse ich mich nicht mehr".
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. August 2001)