Manchmal geht die Evolution Umwege. Einer davon könnte die Säugetiere 135 Millionen Jahre an planetarer Dominanz gekostet haben. Es ist zwar streng genommen immer noch eine Hypothese - aber doch eine inzwischen allgemein als Wahrheit akzeptierte: Der Einschlag eines Himmelskörpers nahe der mexikanischen Halbinsel Yucatan beendete vor 65 Millionen Jahren die Herrschaft der Dinosaurier, welche 200 Millionen Jahre angedauert hatte. Das dem Einschlag folgende globale ökologische Desaster raffte alle großen Tierarten dahin und ermöglichte den bis dato unscheinbaren Säugetieren - die wohlgemerkt älter als die Dinosaurier sind - aus dem Schatten zu treten, in die frei gewordenen biologischen Nischen vorzudringen und in einer explosionsartigen Spezies-Vervielfältigung den Planeten für sich zu erobern. Doch hätten die Säugetiere ihre Chance womöglich schon viel früher bekommen können? Das Massensterben vor 65 Millionen Jahren war nicht das einzige und nicht das größte der Erdgeschichte. Fünf sind bis heute bekannt - das in seinen Ausmaßen schlimmste fand vor 250 Millionen Jahren am Ende des Perm statt. Es läutete das Ende des Erdaltertums und den Beginn des Erdmittelalters ein. Und auch am Ende des ersten Abschnitts dieses Erdmittelalters, der Trias, fand ein Massensterben statt. Doch die Dinosaurier überlebten es, nutzten es offenbar sogar, um ihre globale Vorherrschaft endgültig einzuzementieren. Forscher untersuchen nun, wie es dazu kommen konnte. Und so begann es Der Einschnitt vor 250 Millionen machte die Trias zu einer Blütezeit evolutionären Experimentierens - immerhin galt es einen ganzen Planeten zu großen Teilen neu zu besiedeln. Einen gewissen Startvorteil hatten dabei die Vorfahren der Säugetiere. Deren Entwicklungslinie ist seit dem Karbon abgrenzbar, die ältesten Vorläufer der Säugetiere finden sich in der gleichen Fossilien-Schicht wie die Vorläufer der eigentlichen Reptilien. Zu diesen Vorläufern zählen im Perm die Therapsiden, die aufgrund ihres Schädelbaus, ihrer Zähne und Extremitäten bereits so säugetierähnlich waren, dass manche Paläontologen der Meinung sind, sie seien ebensogut als Säugetiere wie als Reptilien zu klassifizieren. Im Trias fächerte sich die Artenvielfalt der Therapsiden enorm auf: Friedliche Pflanzenfresser wie die "Kuh-ähnlichen" Placerias gehörten ebenso dazu wie die raubtierhaften Cynodontier. In der späten Trias entstanden auch die ersten mausartigen Säugetiere im engeren Sinn. Parallel zu unseren Vorfahren breiteten sich andere Reptilienformen aus: Die nach Krokodil-Art amphibisch lebenden riesenhaften Phytosaurier wie Leptosuchus, Räuber wie Postosuchus - und seit 230 Millionen Jahren auch die ersten Dinosaurier. All diese Vettern und Kusinen lebten in Konkurrenz zueinander und rangen mit wechselhaftem Glück um die globale Vorherrschaft. - Man sollte meinen, dass die nach heutigen Maßstäben höher entwickelten säugetierhaften Spezies gegenüber den Reptilien im Vorteil gewesen sein müssten. Doch dann geschah etwas, das die so gerade wirkende Entwicklungslinie vom Perm bis zur heutigen Zeit unterbrach. Die Gewinner Fest steht nur, dass vor ca. 200 Millionen Jahren - am Übergang von der Trias zum Jura - die gesamte Konkurrenz der Dinosaurier ausgeschaltet wurde. "Was immer passiert ist, es hat die Dinosaurier nicht betroffen", sagt Paläontologe Hans-Dieter Sues vom Royal Ontario Museum in Toronto. Er gehört zu denjenigen Forschern, die die Theorie eines Asteroiden- oder Kometeneinschlags für die wahrscheinlichste Erklärung halten. Sein Kollege Paul Olsen von der Columbia University betont ebenfalls, dass das heute geläufige Dinosaurier-dominierte Ökosystem des Erdmittelalters direkte Folge eines "dramatischen Ereignisses" an der Wende von der Trias zum Jura war. In der Trias waren die Dinosaurier noch weit von ihren späteren Dimensionen entfernt. Typisch waren Exemplare wie der kleine zweibeinige Räuber Coelophysis. Riesen wie Brontosaurus, Stegosaurus oder Allosaurus entwickelten sich erst, nachdem die konkurrenz ausgeschaltet worden war. Doch wie geschah es? Allgemeine Lehrmeinung war bisher, dass längerfristige Faktoren wie schrittweiser Klimawandel zu einem sich über Millionen Jahre hinziehenden Verschwinden der Dinosaurier-Konkurrenten führten. Doch neuere Funde weisen eher darauf hin, dass es sich um ein plötzliches Ereignis handelte. Eine Untersuchung von Kohlenstoff-Isotopen aus Felsen der Queen Charlotte-Inseln vor der kanadischen Küste zeigt beispielsweise einen ruckartigen Kollaps der Plankton-Population an der Trias-Jura-Wende. Als mögliche Katastrophen-Auslöser wurden massive vulkanische Aktivität und dadurch ausgelöste Gas-Freisetzungen ebenso postuliert wie eine nahe Supernova-Explosion, die die Ozonschicht zerstört haben könnte - oder eben der Einschlag eines Himmelskörpers. Für die Theorie eines Einschlags könnte auch sprechen, dass neben den Landtieren auch zahlreiche Landpflanzen und besonders viele Spezies von Meerestieren vom Massensterben betroffen waren. Noch ein Indiz gibt es: nämlich der plötzliche Anstieg von Farn-Pollen an der Trias-Jura-Wende. Farne gehören zu den Pflanzen, die sich nach Katastrophen am schnellsten erholen können. Erhöhtes Vorkommen von Farnen deutet daher darauf hin, dass konkurrierende Pflanzen-Populationen durch irgendeinen Einfluss zurückgedrängt wurden. Die Suche nach dem Krater Offen ist bislang noch, wo ein solcher Einschlag stattgefunden haben soll. Wissenschafter sind weltweit auf der Suche nach dem "Corpus delicti" - ein Hauptverdächtiger war oder ist (je nach Hypothese) die Manicouagan-Formation im kanadischen Quebec. Nach neueren Messungen stammt sie zwar von einem Einschlag, der 214 Millionen Jahre zurück liegt. Also eigentlich 14 Millionen Jahre zu früh ... Manche Wissenschafter halten jedoch dagegen, dass Messungen durch einen besonderen Umstand verzerrt würden: der Manicouagan-Einschlag habe nämlich just in einem Gebiet mit uraltem Gestein, teilweise zwei Milliarden Jahre alt, stattgefunden. Ein Sammelsurium an verschiedenen radioaktiven Signaturen verzerre die Messungen - und daher könnte der Krater genausogut nur 200 Millionen Jahre alt sein. Ihr Hauptindiz: aus der Zeit vor 214 Millionen Jahren ist kein Massensterben bekannt, und das, obwohl der Manicouagan-Einschlag von enormem Ausmaß gewesen sein muss. ... und was tat sich inzwischen bei den Säugetieren? Wo auch immer die Katastrophe letzlich ihren Ausgangspunkt nahm ... für die Säugetiere hatte jedenfalls mit dem Jura ein 135 Millionen Jahre langer "Winterschlaf" begonnen. Von den einstmals dominanten Therapsiden und Cynodontiern blieben nur unscheinbare kleine Baumbewohner übrig; eine weitergehende Spezies-Auffächerung ließen die allüberall dominanten Dinosaurier nicht zu. Die Säugetiere nutzen freilich die lange Zeit im Hintergrund: ihr Stoffwechsel erhöhte sich, die Körpertemperatur nahm dementsprechend zu, das Blutgefäßsystem wurde leistungsfähiger - und auch ihr Haupttrumpf wurde immer stärker ausgebaut: nämlich die enge Eltern-Kind-Bindung. All diese Faktoren vebesserten ihre Chancen für den kommenden Überlebenskampf. Als vor 65 Millionen Jahren dann der nächste Mega-Einschlag die einstigen Gewinner zu Verlierern machte und die Dinosaurier auslöschte, standen die Säugetiere bereit, die so lange auf Eis gelegte Entwicklung fortzusetzen und - mit einer "kleinen Verspätung" - den Planeten doch noch zu erobern. (red)