Die Biografie eines Helden erfüllt den Zweck, durch das Aufzählen menschlicher Tugenden und Leistungen die Distanzierung ihres Protagonisten vom Menschlichen zu schildern. Nach seinem Crash auf einem Motorrad, da noch nicht einmal die Schuldfrage eindeutig geklärt scheint, keine Lebensgefahr und keine existenziellen Sorgen drücken, schlimmstenfalls die Traumkarriere gefährdet ist, interessiert Maiers medizinisches Kommuniqué und Karriereaussicht mehr als alle gewerkschaftlichen Blödheiten und regierungsamtlichen Gemeinheiten. Maiers Geschichte passt wie kaum ein Lebenslauf auf die alte Schablone von der Heldensage, und da die Medien auch in dieser Erzähltradition stehen, reagieren sie auf Maier wie die Drachen auf Balmung: sie schlagen mit den Flügeln und speien mit allen Köpfen Feuer. Ein Bub hat nur einen Traum, er will Skifahrer werden, aber sein Körper macht nicht mit, verweigert das Wachsen und Zunehmen, bleibt schwächlich, die Kippstangen zermerschern seine Knie. Der Bub wird aus dem Kreis der Knappen hinausgeworfen, der Traum vom Ritter ist aus. Maier fliegt aus der Schule, sein Klassenkamerad Christian Mayer wird groß und stark und berühmt. Doch da beginnt der kleine Maier zu wachsen, er arbeitet als Maurer, um sich Muskeln anzuzüchten, trainiert auf eigene Kosten, er nimmt zu, wird als Gast in den Turnieren der Großen akzeptiert - und besiegt sie alle. In einem fernen Land, Japan, besteigt er den höchsten Berg und fällt fast zu Tode, rappelt sich lächelnd auf und gewinnt nicht nur ein neues Leben, sondern den großen Preis. Egal, dass der Skisport im weltweiten Maßstab ein alpiner Bauernzirkus ist, Maier ist ein Popstar, er transzendiert die engen Grenzen des Skirennsports, wie Michael Jordan den Basketball überstrahlt, provinziell und polyglott gleichzeitig in seinem Entwurf. Er gewann den Europacup, den Weltcup als erster Österreicher seit Karl Schranz, zwei Olympia- und zwei Weltmeistertitel. Er verstößt eine Freundin, er gewinnt eine Freundin, er gilt als egozentrisch und ehrgeizig. Er lässt seinen Kollegen keine Chancen, und wenn er gewinnt, trampelt er auf den anderen herum. Aber kann einer, der seinen Weg gegangen ist, im herkömmlichen Sinn "normal" sein? Die Medien reagieren auf schicksalshafte Wendungen von Figuren wie Maier mit dem uralten Reflex des Alles-wissen-alles-erzählen-Wollen, nicht die Sorge um Maier treibt das Interesse, sondern die Sehnsucht nach Identifizierung mit den alten Vorbildern. Egal, wie das aktuelle Kapitel ausgeht, Maier wird seinen Weg gehen, und er wird als beispielhaft gelten, Skifahren hin oder her. Nur das Motorradfahren wird er vielleicht lassen. (DER STANDARD, PRINTAUSGABE 27.8. 2001)