Herr Mortier hätte seine Aufgabe doch besser darin sehen sollen, in unserem schönen Salzburg, auf das wir so stolz sind, Festspiele zu organisieren, die uns in der Einstellung (auf die wir auch stolz sind) festigen, an der guten alten Zeit und ihren Hervorbringungen sei seit den Tagen des Strauß Schani nichts zu verbessern - und daher schon gar nichts zu verändern, weshalb jeder diesbezügliche Versuch als Dolchstoß ins ostalpine Gemüt zu werten - und entsprechend zu ahnden sei.
Aber Herr Mortier wollte es partout anders. Kein Wunder daher, dass seit dem Einzug Adolf Hitlers in und dem Abzug der Russen aus Wien keine Ortsveränderung die Einheimischen so begeistert hat wie jene Mortiers von Salzburg ins Ruhrgebiet. Eine Begeisterung, zu der Hans Neuenfels' Inszenierung der "Fledermaus" nicht unwesentlich beigetragen hat.
Ein verlässlicher Seismograph solcher Stimmungen ist die intellektuelle Oberschicht der "Krone"-Leser in Schreiben, in denen - nicht vor Verabreichung eines kolumnistischen Stimulans, da herrscht Disziplin - latente Grundgefühle zu einem Sturzbach werden und die Leserbriefseite des Blattes überschwemmen.
Als Stimulator fungierte diesmal Günther Nenning. Er war bisher der Einzige, der einleuchtend zu erklären vermochte, warum diese "Fledermaus gescheitert ist. Wie konnte das passieren? Ich weiß es: Sie haben keine Liebe mehr. Ich trinke ja auch gern Rotwein, aber Liebe kann durch nichts ersetzt werden - Liebe zur Kunst, Liebe zur Operette, Liebe zum empörten Publikum. Das alles fehlt Ihnen. Dem Herrn Neuenfels nämlich.
Die Mitteilung, dass dem Apostel der allumfassenden Liebe das Nuckeln am Rotwein die Liebe nicht ersetzen kann, erschüttert fast so sehr wie seine offenkundige Abneigung dagegen, in der Kunst gelegentlich auch ein wenig Verstand walten zu lassen. Liebe kann durch nichts ersetzt werden: buchstäblich. Das ist das Butterweiche an diesem Gefühl und das intensiv Ranzige an solchem Kunstgesabber in Richtung Neuenfels: Sie sind im Nichts gelandet. Sie sind Nihilist geworden, Zyniker, wie Gérard Mortier immer schon war.
Von selber wäre Neuenfels ja niemals im Nihilismus gelandet, wie Nenning weiß. Ich versteh schon: Der scheidende Intendant der Salzburger Festspiele hat Sie aufgehusst, die "Fledermaus" zu zerstören, und mit ihr das ihm verhasste Österreich. Aber da kann ein Nenning noch so oft auf Staberl-Niveau absinken, in der Kunst haben höhere Ansprüche zu gelten als in der Kunstkritik: Ein Neuenfels darf nicht auf Mortier-Niveau absinken.
Nur aufgehetzt war Neuenfels aber auch nicht, wie Nenning schon wieder versteht. Ich versteh schon: Ihr zwei wolltet euch einen Jux machen, einen billigen Jux auf Steuerkosten der blöden Ösis. Aber auch zu einem guten Jux braucht man Geist, darum sind "Krone"-Kolumnen ja so oft ein Jux. Keine Sorge: Mit uns Österreichern werden die ja nie fertig, da müssen schon andere kommen als dieser bleifüßige, humorlose Deutsche, wo doch bekanntlich nur wir den echten Humor haben.
Und Nenning wäre der Letzte, damit zu geizen. Ich behaupte: Das eigentlich Interessante oder einzig Interessante am Scheitern des Neuenfels an der "Fledermaus", am Scheitern des Mortier an Salzburg ist: das unzerstörbar Konservative der österreichischen Seele . . . Und das Schönste an der österreichischen Seele: Gerade ihr Beharren im Eigensinn, gerade ihre Sehnsucht nach viel besserer Zeiten Rückkehr, gerade das ist die paradoxe Revolution in uns.
Und begeistert springt ein von der "Krone" bestallter Berufsrevolutionär auf die Barrikaden des Unsinns mit dem Ruf auf den Lippen: Nicht zufällig ist Österreich eine Wiege der Moderne, als sie noch wirklich modern war - im Taumel der Begeisterung für das unzerstörbar Konservative nicht bedenkend, dass schon die Nenninge von ehedem viel besserer Zeiten Rückkehr zwar ersehnt, aber auch nicht herbeigeführt haben, obwohl es damals noch nicht einmal Mortiers und Neuenfelse gab, die ihnen dabei in die Arme gefallen wären.
Und wo das letztlich hingeführt hat, zeigte der Leserbrief einer Mutter, die vor den Trümmern ihrer pädagogischen Bemühungen feststellen musste: Ich habe einen zehnjährigen Sohn, dem ich klar machen soll, dass Drogen tödlich und verboten sind, und in diesem Stück wird "gekokst", als wäre es das Normalste auf der Welt. Hoffentlich hält die gute Frau ihren Sohn für immer von Shakespeare fern. Dort wird gemordet, als wäre es das Normalste auf der Welt. Aber wenn der Bub Talent zu dem hat, was hierzulande das Normalste auf der Welt ist, nämlich zum Alkoholismus, darf er die "Fledermaus", von der Nenning träumt, ruhig sehen.
Vielleicht auch Besseres, weiß doch Nenning von diesem Österreich: Es bereitet sich auf etwas vor, wovon Neuenfels und Mortier keine Ahnung haben: die Wende zu einer neuen Kunst. Dieser Verdacht verdichtet sich bei der Lektüre der "Krone": Der nächste Jungbauernkalender kommt! Ästheten, die ihre Stalltüren mit dem Bauernmanifest geschmückt haben, erhalten ihn gratis. (Günter Traxler/DER STANDARD; Print-Ausgabe, 28. August 2001)