Angela Merkel ist vor eineinhalb Jahren als Vorsitzende mit dem Versprechen angetreten, die CDU zu erneuern. Es fällt ihr offensichtlich schwer, mit dem Naheliegenden anzufangen: den Hinterlassenschaften Helmut Kohls, der die Partei ein Vierteljahrhundert geführt und geprägt hat. Deshalb beginnt sie beim Erbe Ludwig Erhards. Die "soziale Marktwirtschaft" ist eine Errungenschaft, auf die die CDU zu Recht stolz sein kann. Die Verknüpfung von Wirtschaftsinteressen mit sozialen Erfordernissen ist das, wofür die Christdemokraten nicht nur in Deutschland stehen. Doch genau diese Wurzeln kappt die Vorsitzende. Offenbar unter dem Druck, "modern" zu sein und der SPD auf dem Feld der Wirtschaftspolitik in Zeiten einbrechender Konjunktur Paroli bieten zu können, hat eine von Merkel eingesetzte Kommission das Konzept einer "neuen sozialen Marktwirtschaft" zurechtgeschustert. Dabei wurde fleißig von der politischen Konkurrenz abgekupfert: Die zuletzt vom SPD-Vizevorsitzenden Rudolf Scharping erhobene Forderung, arbeitsfähigen Arbeitsunwilligen die staatliche Unterstützung zu kürzen, wurde als eigener Vorschlag aufgenommen. Von der FDP wurde der Vorschlag des Drei-Stufen-Modells im Steuerbereich kopiert. Wer die Senkung des Höchststeuersatzes von 48,5 auf 35 Prozent bezahlen soll, darauf bietet das CDU-Konzept aber keine Antwort. So radikale neoliberale Forderungen wie die Aufweichung des Kündigungsschutzes oder die Beschränkung des Tarifvertrags auf das Allernötigste, um den einzelnen Unternehmen mehr Gestaltungsraum zu eröffnen, traut sich nicht einmal die FDP zu erheben. Die Debatte in der CDU darüber, ob nun der Zusatz "neu" den Begriff "soziale Marktwirtschaft" verwässert, geht am Kern vorbei. Ehrlicher wäre es, "sozial" zu streichen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. August 2001)