Kunst und Kultur
Gurgel als Höchstinstanz
Sopranistin Cecilia Bartoli hat den schönen Selbstzweck der Stimmakrobatik zur Kunst erhoben
Salzburg - In unseren Tagen fehlt es sicher nicht an bedeutenden, tiefschürfenden InterpretInnen, doch die Zeiten der großen Diven, der welterregenden ExzentrikerInnen, sind im Zuge einer wie selbstverständlichen Demokratisierung auch des Kulturbetriebs wohl endgültig - oder bis auf weiteres - vorbei.
Umso staunenswerter die Karriere und die extrem breite Akzeptanz der Mezzosopranistin Cecilia Bartoli, die in Salzburg womöglich auch das Große Festspielhaus zu besten Teilen füllen könnte, so lebhaft laufen und reisen ihr inzwischen die Liebhaber wendiger, narrensicherer Gurgelkunst hinterher.
Und dies nicht ganz zu Unrecht, denn vor allem auf dem Sektor der Vivaldi- und Rossini-Bravour hat "die Bartoli" in letzter Zeit nicht nur im Vokalen Staunenswertes geleistet, sondern auch manche unerkannte Facette von musikalischer Kühnheit vor allem im vernachlässigten Repertoire des venezianischen Barock-Avantgardisten in Erinnerung gerufen, respektive gesungen.
Schon am Sonntagmorgen, als Alfred Brendel, Simon Rattle und die Wiener Philharmoniker gekonnten Luxus versprachen, bettelten viele, viele Musikfreunde um Restkarten. Vor dem Mozarteum jedoch hatten sich Erlebensbewerber bis fast zum Landestheater in Stellung gebracht. Im Inneren des Hauses bestätigte ein nahezu voll besetztes Podium, wie sehr sich Cecilia Bartoli in die kennerischen Herzen der Stimmverehrer gesungen, gezwit-schert, vor allem aber mit ihrem in allen Lagen funktionierenden Gurgel-Pizzikato eingenistet hat.
Es scheint ein Bedürfnis zu sein, nicht nur brave Stilistinnen einer etwas faden Liedgegenwart zu beklatschen, sondern eine Extremsportlerin der geistvollen Koloratur, die sich überdies nicht scheut, auch Mozartsche Arietten-Kleinkunst, Schubertsche Canzonen, eine hübsche Havanaise von Pauline Michelle-Ferdinande Viardot-Garcia oder noch Hübscheres von Bizet zum Besten zu geben - oder zumindest das Beste zu versuchen.
Bei Mozart und auch bei Schubert - wenn die Kehle eher lyrisch zu gehorchen hat - neigt Frau Bartoli zu theatralischer Überdehnung, zu mimischen Gewaltakten, als müsste jede Phrase auf ihren Gehalt hin ausgequetscht werden. Erst wenn sie bei Rossini oder Donizetti die vorgegebene Dramatik (und Sentimentalität) auf der virtuosen Schiene fahren und steuern darf, dann decken sich Vorlage und gestalterische Bravour in einer faszinierenden Synthese von Kunst und begründeter Künstlichkeit.
(STANDARD-Mitarbeiter Peter Cossé)
(D
ER
S
TANDARD
, Print-Ausgabe, 28.8. 2001)