Wien - "Ich hab’ jetzt vor, diese Diversion bei Ihnen zu machen", sagt Richter Thomas Schrammel. Der Angeklagte nickt höflich. Er hält seine Freude zurück, um den Richter nicht in Verlegenheit zu bringen. Der Prozess ist ein Lehrstück der Behutsamkeit und des gegenseitigen Respekts. Es tut (Österreich) gut, dass der Europarat daran teilnimmt und ein Herr von Amnesty International aus London im Saal sitzt. Der 37-jährige Tiroler Computertechniker hat sich im (Un)sinne des heftig umstrittenen Paragraphen 209 der "gleichgeschlechtlichen Unzucht" mit Jugendlichen unter 18 Jahren schuldig gemacht. Er hatte sexuelle Liebesbeziehungen zu jungen Männern gepflegt. - Betonung auf "Liebe" und "gepflegt". Die Polizei hatte anders betont und ihn der Presse als "hemmungslosen Triebtäter" vorgestellt. 14 Tage saß er in Untersuchungshaft. "So etwas will ich nie wieder erleben", sagt er mit brüchiger Stimme. Seit der Studienzeit weiß er, dass er sich zu männlichen Jugendlichen hingezogen fühlt. "Ich dachte immer nur an das eine", gesteht er dem Richter. "Na das soll Heterosexuellen auch schon passiert sein", tröstet ihn dieser. Nur auf Verlangen

Er war bereits 28, als er seinem Drängen erstmals nachgab. Zu sexuellen Kontakten sei es nie gegen den Willen seiner Partner gekommen. "Das heißt, Sie haben höflich gefragt, ob Sie dürfen, und wenn er Nein gesagt hat, dann war nix?", fragt der Richter. - So war es. Das bestätigen auch die Aussagen der Jugendlichen. Er sei stets mit großer Sensibilität auf ihre Wünsche eingegangen. "Was man von gewissen Männern, die angeheitert nach Hause kommen und die ,ehelichen Pflichten‘ einfordern, nicht behaupten kann", ergänzt der Richter. Aber leider, der Paragraph sei eben da. "Wir müssen ihn beide befolgen, Sie auf der einen Seite, ich auf der anderen. - Können Sie sich nicht ein bisserl Ältere suchen?", fragt Richter Schrammel. - "Ich kann nichts dagegen tun, mich zieht es zu dieser Altersgruppe", erwidert der Angeklagte. Aber er verspricht, seine Gefühle künftighin einfach nicht mehr auszuleben. "Das ist mir ja auch schon die zehn Jahre davor gelungen." Paragraph als "fragwürdiger Fremdkörper" Auch der Staatsanwalt hält den Paragraphen 209 für "einen durchaus fragwürdigen Fremdkörper im Strafgesetzbuch". Dennoch spricht er sich gegen die Diversion aus, weil ihm die Schuld "dafür doch nicht gering genug" erscheint. "Mein Mandant hat die Tat aus achtenswerten Gründen begangen, nämlich aus Zuneigung", widerspricht der Verteidiger: Der parlamentarische Ausschuss des Europarates habe die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung als eine ihrer abscheulichsten Formen bezeichnet. "Warum sollen Sie dafür bestraft werden?" "Ich komm’ in die unangenehme Lage, dass ich mich der Verteidigung anschließen muss", sagt der Richter: "Wenn einer Liebschaften zu jungen Frauen hat, gilt er als toller Hecht. Warum sollen Sie dafür bestraft werden?", fragt er den Angeklagten. - Der weiß es am allerwenigsten. Erstmals in der Geschichte des Unzuchtparagraphen wird kein klassischer Schuldspruch gefällt. Diversion bedeutet: Der Techniker muss 20.000 Schilling Geldbuße erbringen. Verzichtet die Anklagebehörde auf die Berufung (was allerdings unwahrscheinlich ist), wird das Verfahren eingestellt. (Von Daniel Glattauer, DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 29.9.2001)