Im Standard vom vergangenen Dienstag erschien ein Bild von der Krisen-Pressekonferenz des soeben aus Kanada zurückgekehrten ÖGB-Präsidenten Verzetnitsch, der vor sich hin blickt und offenkundig zum x-ten Mal wiederholt, dass er sich nichts vorzuwerfen hat. Daneben schaut Metallergewerkschafter Nürnberger genervt in die Luft und signalisiert körpersprachlich: "Ihr gehts mir alle maßlos am Wecker - und am meisten der neben mir!"

Man kann es ihm nachfühlen. Dennoch ist diese Mischung aus Realitäts- und Kommunikationsverweigerung, die Verzetnitsch und Nürnberger da nicht zum ersten Mal vorführten, einigermaßen typisch für den Zustand der österreichischen Gewerkschaftsführung (und zwar hinunter bis in die mittleren Ränge). Dass derzeit keine gute Zeiten für "organized labour" herrschen, und zwar weltweit, ist bekannt und auf bekannte Fakten zurückzuführen.

Die US-Gewerkschaften (deren Dachverband AFL-CIO bei weitem nicht so zentrale Macht hat wie etwa der ÖGB) erholen sich mühsam von ihrem Machtverlust durch Neoliberalismus und Globalisierung. Tony Blair hat die von Maggie Thatcher abmontierten britischen Trade Unions in der Labour Party nicht wieder hochkommen lassen, und die französischen Gewerkschaften tun sich trotz sozialdemokratischer Regierung schwer.

In Deutschland ist die Position des DGB noch ziemlich stark: Die rot-grüne Regierung konnte gegen den wütenden Widerstand des DGB gerade noch eine kleine Rentenreform und andere sozialpolitische Mini-Reformen durchbringen. Aber soeben erleben auch die deutschen Gewerkschaften einen Privilegienskandal: Gegen den mächtigen Vorsitzenden der IG Metall, Klaus Zwickel, wird vom Staatsanwalt ermittelt, weil er als Aufsichtsratsmitglied von Mannesmann mit seiner (ausschlaggebenden) Stimme eine immense Bonuszahlung an jene Manager und Aufsichtsratsmitglieder nicht verhinderte, die einer feindlichen Übernahme von Mannesmann durch Vodafone Vorschub leisteten.

Gleichzeitig stimmte die IG Metall unter Zwickel nun aber doch dem so genannten "5000 x 5000" Modell bei VW zu, das als tarif- und arbeitsplatzpolitische Innovation gilt. Der Deal sieht grob vereinfacht so aus: VW erzeugt einen Minivan nicht im billigeren Ausland, sondern im Inland, und stellt dafür 5000 neue Beschäftigte ein, vorzugsweise Arbeitslose. Diese erhalten allerdings einen niedrigeren Stundenlohn, der sich auf etwa 5000 Mark im Monat summiert. Außerdem unterwerfen sich die Arbeiter neuen Vertragsbedingungen, die etwa eine stärkere Haftung (=Lohnabzüge) für fehlerhafte Arbeit und eine flexiblere Arbeitszeit beinhalten.

Ein gewerkschaftlicher Sprung über den Schatten wird als neues Modell gefeiert: neue Jobs für weniger Geld.

Ähnliche, wenn auch nicht so umfangreiche Flexibilitätsmodelle gibt es auch in Österreich. Sie wurden in verschiedenen Betrieben eingeführt, allerdings ohne dass es die Metallergewerkschaft oder der ÖGB an die große Glocke gehängt hätten.

Da stellt sich aber die Frage: Was ist bisher? Hinhaltenden Widerstand gegen eine unaufhaltsame Entwicklung leisten, dann doch nachgeben müssen, das aber möglichst vertuschen - oder versuchen, sich an die Spitze zu setzen, und damit das Gesetz des Handelns wieder in die Hand zu bekommen?

Die Körpersprache der österreichischen Gewerkschaften signalisiert derzeit nur Abwehr, sogar in der so genannten "Offensive", denn auch die Fragen in der Mitgliederbefragung sind alle defensiv.
hans.rauscher@derStandard.at

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31. August 2001)