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Foto: Reuters/Paredes
London - Nach jahrelangem Widerstand hat der britische Gesundheitsminister Alan Milburn dieser Tage mitgeteilt, künftig sollten die Kranken des Landes auch aufs europäische Festland übersetzen können, wenn es dort freie Krankenhausbetten und arbeitswillige Ärzte und Schwestern gebe. Daran mangelt es nach wie vor in Großbritannien, wo das staatliche, durch die Steuern (und ohne Krankenkassenbeiträge) finanzierte Gesundheitswesen 1946 von der ersten Labour-Regierung nach dem Kriege eingeführt wurde. Theorie Theoretisch hat jeder in Großbritannien Lebende Anspruch auf kostenlose ärztliche Behandlung. Tatsächlich warten derzeit etwa eine Million Menschen darauf, diese zu bekommen. Und immerhin 46.000 Kranke warten schon seit mehr als einem Jahr. Die Regierung hat ihr 1997 gegebenes Versprechen, die Warteliste um 100.000 zu senken, nicht einhalten können. Deshalb die Empfehlung von Milburn, der weiß, dass es für die Labour-Regierung bei den nächsten Wahlen von entscheidender Bedeutung sein wird, ob sie wenigstens in der zweiten Legislaturperiode spürbare Verbesserungen im maroden System des staatlichen Gesundheitsdienstes (NHS) zustande bringt. Die britische Presse kommentiert entsprechend zynisch, die Redaktion des Boulevardblatts The Sun machte eine Aktion daraus: Als kürzlich Michelle Cooper (27) für die Geburt ihrer Vierlinge durchgehend mit Begründungen wie "Wir sind überlastet" abgewiesen wurde, buchten die Zeitungsleute demonstrativ einen Klinikplatz im Berliner Virchow-Krankenhaus. Aus Berlin berichtete der Sun-Reporter überrascht von "blitzsauberen" Klinikeinrichtungen und drohte dem Gesundheitsminister: "Stellen Sie sich mal vor, Herr Milburn, wenn die Coopers mit Vornamen wie Klaus und Helga zurückkommen." Das reichte: Einen Tag später fand sich ein britisches Krankenhaus für die Vierlingsgeburt. Im Londoner Osten werden hochschwangere Frauen gebeten, das WC selbst zu säubern, falls sie auf saubere Toiletten Wert legten. "Horrorgeschichten" kann fast jeder Patient erzählen schlecht bezahlte Ärzte und Pfleger sind überlastet. Kraftloses Argument Die Labour-Regierung hat bisher stets die Versäumnisse der Konservativen für diese Zustände verantwortlich gemacht. Freilich weiß Tony Blair, dass dieses Argument mit der Zeit kraftlos wird. Nun können die Patienten auf Hilfe im Ausland hoffen. Die BBC schickte einen Reporter nach Bad Berka (Thüringen), wo in einer Klinik bereits Norweger behandelt wer-den, deren Gesundheitswesen dem britischen vergleichbar sei. Espen Olsen, gerade von einer Rückenoperation genesend, fasste seinen Rat an britische Patienten kurz zusammen: "Nehmt das erste Flugzeug und kommt her." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31. 8. 2001)