Wels - "Und wer denkt an das Kind? Da gehört keine Milde her!" Eine ältere Besucherin des Prozesses gegen die 19-jährige Natascha B. macht aus ihrer Meinung über die Angeklagte keinen Hehl. Die junge Frau soll ihren eineinhalbjährigen Sohn Marcel im vergangenen Februar tagelang allein gelassen haben, bis er schließlich verdurstete. Wegen Quälens und Verlassens von Unmündigen verurteilte sie das Gericht in Wels am Freitag zu vier Jahren unbedingter Haft - der Spruch ist noch nicht rechtskräftig.

Der kleine Marcel ist laut Sachverständigem am ersten März gestorben. Seine Mutter war in den Tagen davor, es war die Faschingszeit, in Lokalen gewesen, hatte Alkohol und Haschisch konsumiert und auf Nachfragen versichert, ihr Kind sei bei den Großeltern.

Warum sie sich nicht um das Kleinkind, das unterdessen in ihrer Wohnung lag, gekümmert hat, kann sie beim Prozess nicht erklären. Mit leiser Stimme, von Schluchzen und Schlucken unterbrochen, kann sie nur sagen, sie habe es "verdrängt".

Der psychiatrische Gutachter Reinhard Haller kann die Hintergründe der Tragödie nur aufhellen, erklären kann er sie naturgemäß nicht. Natascha sei aus seiner Sicht durch die Scheidung der Eltern traumatisiert worden, leide an mangelndem Selbstwertgefühl und Depressionen.

Die ungewollte Schwangerschaft mit 17 habe sie aus ihrem eigenen Kindsein herausgerissen. Durch den Alkohol-und Haschischkonsum zur fraglichen Zeit sei ihre Zurechnungsfähigkeit deutlich gemindert gewesen, der Unrechtmäßigkeit ihrer Handlungen dürfte sie sich aber bewusst gewesen sein.

Das jugendliche Alter, das Geständnis und die eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit führte der Vorsitzende Wolfgang Brandmair auch als Milderungsgründe in der Urteilsbegründung an. Der Fall sei aber der schwierigste seiner Laufbahn gewesen.

Auf den ersten Blick könne man glauben, die Angeklagte sei eine Rabenmutter - ein Bild, das auch durch die "in manchen Medien menschenverachtende Berichterstattung" entstanden ist, erläuterte Brandmair. Das psychiatrische Gutachten und Zeugenaussagen haben dagegen eine andere Sprache gesprochen. Andererseits müsse der Staat aber auch beweisen, dass er derartige Vorfälle nicht ungesühnt lasse und generalpräventiv wirken. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.9.2001)