"Das Leben in dieser Gesellschaft ist ein einziger Stumpfsinn, kein Aspekt der Gesellschaft vermag die Frau zu interessieren, daher bleibt den aufgeklärten, verantwortungsbewussten ... Frauen nichts anderes übrig, als die Regierung zu stürzen, das Geldsystem abzuschaffen, die umfassende Automation einzuführen und das männliche Geschlecht zu vernichten."Wandelnde Fehlgeburt" Mann Heute ist es technisch möglich, sich ohne die Hilfe der Männer ... zu reproduzieren und ausschließlich Frauen zu produzieren. Wir müssen sofort damit beginnen. Der Mann ist eine biologische Katastrophe: das (männliche) y-Gen ist ein unvollständiges (weibliches) x-Gen, d.h. es hat eine unvollständige Chromosomstruktur. Mit anderen Worten, der Mann ist eine unvollständige Frau, eine wandelnde Fehlgeburt, die schon im Genstadium verkümmert ist. Mann sein heißt, kaputt sein; Männlichkeit ist eine Mangelkrankheit, und Männer sind seelische Krüppel..." Mit diesen Worten beginnt das von Valerie Solanas 1967 verfasste "Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer", das am Samstag in einer Lesung von Natascha Vittorelli und der Verfilmung von Mary Harron beim Herbst-Opening im kosmos.frauenraum in Erinnerung gerufen wurde. Wer war Valerie Solanas? Vermutlich wäre Valerie Solanas mit ihrem S.C.U.M.-Manifest – Society for Cutting Up Men - gar nicht berühmt geworden, hätte sie nicht auf Andy Warhol, den "Voyeur par excellence" geschossen und hätte sie nicht – gefragt nach dem Motiv ihrer Tat – geantwortet: "Ich habe eine Menge schwerwiegender Gründe, lesen Sie mein Manifest und sie wissen, wer ich bin". Zu fragen bleibt: Wer war Valerie Solanas? War sie eine Kriminelle? War sie eine Verrückte? War sie eine Künstlerin? Und vor allem, war sie eine „radikale Feministin“? Männlichkeit als Kompensation Gegen die Freudsche Konstruktion eines weiblichen "Penisneides" stellt Solanas die These: "Männer haben einen Vagina-Neid". Der Mann müsse "dauernd zwanghaft kompensieren, dass er keine Frau ist. Dadurch und durch seine Unfähigkeit zu menschlichem Kontakt ... hat das männliche Geschlecht die ganze Welt in einen Scheißhaufen verwandelt." Und sei folglich u.a. verantwortlich für Krieg, Ehe, Prostitution, Autorität, Regierung, Konformismus, Religion etc. und Geld – "... es gibt keinen humanen Grund für die Existenz des Geldes oder für die Tatsache, dass irgendwer arbeiten muss ... in einer Gesellschaft ohne Geld könnte jede Frau von allem, was sie will, das beste und in jeder Menge haben....". Kastrierendes Flintenweib Rezipiert wird Valerie Solanas – und das wird im Film von Mary Harron augenscheinlich - als "Radikalfeministin" bzw. als das, was der Mainstream damit assoziiert: eine verdreckt-verlumpte Lesbenschlampe in "männlichem" Outfit, eine Männerhasserin und -mörderin, Sandlerin, Kette-rauchender Schlot. Ein Flintenweib, das auf der Straße lebt, PassantInnen anschnorrt und seinen Körper für ein paar Dollar verkauft. In patriarchaler Lesart eine Frau ohne jeglichen "Anstand". In dem Maße der Reduktion der Person V.S. auf die männermordende Schwanz-ab-Emanze, wurde S.C.U.M. mit Dreck und Abschaum gleichgesetzt. Exakte Systemanalyse und logische Theorie Demgegenüber war Valerie Solanas ein verkanntes Genie, eine komplexe Denkerin und Feministin - auch wenn sie dieses Etikett abgewehrt hat in der Befürchtung einer neuerlichen Vereinnahmung und Kategorisierung ihrer Person. Sie übt profunde Gesellschaftskritik einer patriarchalen Gesellschaft, deren strukturelle Gewalt sie durchschaut. Doch bleibt sie darin nicht gefangen, sondern geht über die Analyse – auch des Konnexes Kapitalismus -Patriarchat – hinaus, in dem sie haarscharf die Ansatzpunkte/Schaltstellen für die Verkommenheit der "untergehenden Gesellschaft" ortet. Sie geht an die Essenz des von der männlichen Geschlechtsklasse erfundenen und allerorts gepflegten Systems, wickelt das Knäuel auf und entrollt den Faden, zeigt die Knoten, sticht hinein und belässt es nicht mit Infragestellung, gibt stattdessen Antworten, auch wenn diese als missverständlich aufgefasst werden. Valerie Solanas richtet sich vor allem – und das ist wahrlich revolutionär - gegen die Beruhigung, ja deckt jene als Trick der Nutznießer des Systems auf, als ledigliche Zugeständnisse an die Unterdrückten, die in erster Linie Frauen sind. Sie weiß um diese kosmetische Ablenkung, wenn sie sagt, dass "wir unserem Wunsch dazuzugehören, misstrauen müssen". Täuschung mit System Die innere Logik des Männersystems erkennt sie als niederträchtig und wie kann ihr anders begegnet werden als mit Niedertracht? Das große Missverständnis, Solanas wollte die Männer ausrotten, ihre Reduzierung auf das Konzept der Vernichtung, ist eine Täuschung, eine neuerliche, könnte frau denken. Weil es einfacher ist, weil dadurch von der "Wahrheit" ein weiteres Mal abgelenkt werden kann, nämlich ihrer konstruktiven Kritik . Es ist für Männer und auch Frauen, die sich auf die Seite der Männer geschlagen haben, bequemer, Feministinnen und Lesben als verrückt, frustriert, männerhasserisch etc. abzustempeln als genau hinzusehen. Und somit die Politik des Ablenkungsmanövers fortzuführen, die Täuschung aufrechtzuerhalten. Valerie Solanas war eine verkannte Revolutionärin. Und wer es nicht glauben will, der/die lese ihr Manifest. (dabu)