Schon die Nachrichten vom Umsturz in Paris hatten auch in Prag erhebliche Unruhe ausgelöst. Auf der einen Seite war es eine Kommission der adeligen Standesvertreter, die die Anerkennung des böhmischen Staatsrechtes forderte. Auf der anderen Seite rief der geheime "Repeal-Club", der sich seinen Namen nach einer gleichnamigen Bewegung in Irland gegeben hatte, in Plakaten für den 11. März zu einer Bürgerversammlung ins Wenzelsbad auf. Die führenden "Repealer" waren Intellektuelle, sie hatten ihre Anhänger vor allem im überwiegend tschechischen gewerbetreibenden Kleinbürgertum. An die dreitausend Personen strömten ins Wenzelsbad, und dort wurde ein Ausschuss gebildet, der eine Petition mit den böhmischen Forderungen an Wien ausarbeiten sollte. Deren erster Entwurf war ausgesprochen sozialrevolutionär, er verlangte die Entlastung des bäuerlichen Grundbesitzes ohne Entschädigung der Großgrundbesitzer und Regelungen für die Entlohnung der Arbeiter; doch verstanden es liberal-konservative Vertreter, diese Punkte abzuschwächen und dafür tschechisch-nationale Ziele, vor allem die administrative Vereinigung der drei Kronländer Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien, zu betonen. Zunächst antwortete die nach der Revolution in Wien gebildete Regierung Kolowrat ausweichend. Eine zweite Wenzelsbad-Versammlung wandte sich erneut mit Nachdruck an Wien. Der Adressat ihrer Petition war nicht mehr der Kaiser von Österreich, sondern der "König von Böhmen". Die neue Regierung Ficquelmont bewilligte nunmehr Wahlen zu einem böhmischen Landtag; die nationaltschechischen Kreise, als deren Wortführer vor allem der Historiker Frantisek Palacký hervortrat, feierten das als "Böhmische Charta", sahen sie doch im künftigen Landtag eine erste legale Plattform für ihre Bestrebungen. Allerdings mussten sie auch bereits Rückschläge zur Kenntnis nehmen. Mähren und Schlesien hatten sich von einer Vereinnahmung durch Böhmen bereits distanziert. Und die Deutschen der drei Kronländer - nach der Volkszählung standen damals rund vier Millionen Tschechen 2,6 Millionen Deutsche gegenüber - bildeten eine "Vereinigung der Deutschen aus Böhmen, Mähren und Schlesien zur Aufrechterhaltung ihrer Nationalität". Schon wurden Forderungen laut, das Egerland an Bayern zurückzugeben (es war ja im Mittelalter nur als Pfand zu Böhmen gekommen) und die Erzgebirgsregion mit Sachsen zu vereinen. Der Bruch zwischen Tschechen und Deutschen wurde offenkundig, als die sich zu den Wahlen für die Frankfurter Nationalversammlung bekannten. Diese hatte das Gebiet des Deutschen Bundes, zu dem Österreich mit seinen Alpen- und Sudetenländern (aber ohne Ungarn und Galizien) gehörte, in 160 Wahlkreise eingeteilt. Palacký, der als Vertreter Böhmens in den Fünfzigerausschuss gewählt wurde, sagte ab. Er war gegen eine Vereinigung der Habsburgermonarchie mit Deutschland und wollte vielmehr für die Länder der Wenzelskrone eine Stellung wie das Königreich Ungarn sie hatte. Mit dem Blick auf das übermächtige Zarenreich sagte Palacký: "Existierte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müsste im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen." In Böhmen wurde nun ein Nationalausschuss zur Vorbereitung von Landtagswahlen gebildet und die Nationalgarde "Svornost" (Eintracht) ins Leben gerufen. Die Regierung in Wien war nicht bereit, die böhmischen Länder aus dem Deutschen Bund zu entlassen. Auch sie wurden in die Ausschreibung für die Wahlen zum Frankfurter Parlament aufgenommen. Nach dem Absagebrief Palackýs traten die wenigen Deutschen, die sich noch im böhmischen Nationalausschuss befanden, aus diesem aus. In den 47 Wahlkreisen des deutschen Siedlungsgebietes wurden die Wahlen durchgeführt und von dort 61 Abgeordnete in die Frankfurter Paulskirche entsandt. Nur die "Constitutionellen Verein" organisierten Konservativen gebracht. Während jene ihre Sympathien für die Wiener Studenten bekundeten, sahen diese die Chance, sich beim Hof mit Klagen über die "Pöbelherrschaft" in Wien anzubiedern. Aus Innsbruck (wohin der Kaiserhof geflohen war) wurde nun auch die Einberufung des böhmischen Landtags terminisiert, und es wurde zugesagt, dass der junge Erzherzog Franz Josef als Statthalter nach Prag kommen würde. Der Gubernialpräsident Graf Leo Thun glaubte daraufhin, noch einen Schritt weiter gehen zu können: unter dem Vorwand, keine Weisungen aus Wien mehr zu erhalten, bildete er eine "provisorische Regierung" für Böhmen. Thun glaubte, sich damit gleich von zwei Bevormundungen freimachen zu können: von der Wiener "Studentenregierung" und vom tschechischen Nationalausschuss. Das Wiener Kabinett protestierte gegen dieses eigenmächtige Vorgehen. Und in Innsbruck hatte man bereits die panslawistischen Forderungen des Slawenkongresses, der auch die von Slowenen bewohnten Kronländer bis hin zum Adriahafen Triest aus der bisherigen Zugehörigkeit zum Deutschen Bund lösen wollte, mit Unbehagen beobachtet. Das böhmische Regierungsprovisorium erhielt keine Zustimmung, und Fürst Windischgrätz, der Prager Militärkommandant, sparte nicht mit Drohgebärden. Darauf hin beriefen die Prager Studenten eine Versammlung ein, und sie forderten in einem Aufruf an die Prager Bevölkerung die Absetzung von Windischgrätz. Am Pfingstmontag, dem 12. Juni, fand auf dem Rossmarkt nahe dem Wenzelsplatz eine große Messe statt. Eine große Menge, unter ihnen viele Arbeiter und vor allem auch arbeitstlose Textilarbeiter, die von den Fabriksherren unter Hinweis auf den Druck ausländischer Konkurrenz entlassen worden waren, nahmen daran teil. Die Nationalgarde "Svornost" sollte für Ruhe und Ordnung sorgen, doch als sich ein großer Demonstrationszug formierte, schlossen sich ihre Angehörigen diesem an. Man zog zum Wohnhaus von Windischgrätz. Es kam zu ersten Zusammenstößen mit Soldaten, und als ein Leutnant niedergeschlagen wurde, eröffnete das Militär das Feuer. Nun wurden allenthalben in der Stadt Barrikaden errichtet, Graf Thun wurde von den Aufständischen vorübergehend festgenommen, es kam zu mehrtägigen wechselvollen Straßenkämpfen, die immer wieder von Verhandlungen unterbrochen wurden. Die Frau des Fürsten fiel, von einer verirrten Kugel getroffen, im Generalkommando, und schließlich ließ Windischgrätz Kanonen auffahren, begann mit dem Bombardement und drohte mit dem Belagerungszustand. Am 17. Juni kapitulierten die Aufständischen bedingungslos. Palacky nannte den Pfingstaufstand "das Werk fremder Agents provocateurs und der einheimischen Dummheit"; von einem böhmischen Landtag war nunmehr ebenso keine Rede mehr wie von einem kaiserlichen Statthalter. Palacky musste nun seine großösterreichische Linie im österreichischen Reichstag gegen die großdeutschen "Linken" vertreten. Noch jubelten viele von diesen, vor allem die Deutschen aus Böhmen, über das scharfe Vorgehen in Prag. Ihr Nationalismus ließ sie nicht erkennen, dass der Gegenrevolution ihr erster großer Schlag gelungen war. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29./30. 9. 2001)