Der hier in Kurzfassung dokumentierte Text der italienischen Starjournalistin erschien am 29. September im "Corriere della Sera" und hat - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Äußerungen Silvio Berlusconis zur "Überlegenheit" des Westens gegenüber dem Islam - heftige Reaktionen ausgelöst.* Ich wende mich an jene, die nicht dumm oder schlecht sein mögen, sich aber einlullen lassen aus Vorsicht oder Zweifel. Ihnen sage ich: Aufwachen, Leute, aufwachen! Eingeschüchtert, wie Ihr seid, aus Angst gegen den Strom zu schwimmen, also rassistisch zu erscheinen, versteht Ihr nicht, dass hier ein Kreuzzug aus der Gegenrichtung stattfindet? Da Ihr ans Heucheln gewohnt seid und blind aus Kurzsichtigkeit, versteht Ihr nicht oder wollt nicht verstehen, dass hier ein Religionskrieg im Gange ist? Er wird, vielleicht, nur von einer Gruppe jener Religion gewollt und ausgerufen, aber es ist ein Krieg der Religionen. Ein Krieg, den sie Jihad nennen, "Heiliger Krieg". Ein Krieg der, vielleicht, nicht darauf abzielt, unser Territorium zu erobern, gewiss aber unsere Seelen. Der auf das Verschwinden unserer Freiheit und unserer Zivilisation aus ist. Auf die Vernichtung unserer Art zu leben und zu sterben, unserer Art zu beten oder nicht zu beten, zu essen, zu trinken, uns zu kleiden, zu unterhalten, zu informieren. (...) Ich bin nicht gläubig, Gott sei dank. Und ich habe keine Lust, mich umbringen zu lassen, weil ich es nicht bin. Seit zwanzig Jahren sag ich es, seit zwanzig Jahren. Mit einer gewissen Sanftmut, nicht mit dieser Leidenschaft, vor 20 Jahren hab ich dazu geschrieben, im Corriere della Sera. Es war der Text einer Person, die es gewohnt war, mit allen Rassen und Religionen beisammen zu sein, einer Bürgerin, die es gewohnt war, gegen alle Faschismen und jede Intoleranz zu kämpfen, einer Laizistin ohne Tabus. Aber es war auch ein Text einer Person, die über jene empört war, die den Geruch eines künftigen Heiligen Krieges nicht wahrnahmen und den Söhnen Allahs zu viel verziehen. Mein Gedankengang war in etwa folgender, damals: "Welchen Sinn hat es, jemand zu respektieren, der uns nicht respektiert? Welchen Sinn hat es, ihre Kultur oder so genannte Kultur zu verteidigen, wenn sie die unsere verachten? Ich will unsere verteidigen und ich sage Euch, dass mir Dante Alighieri besser gefällt als Omar Khayan." Um Gottes willen! Sich haben mich gekreuzigt: "Rassistin, Rassistin!". Warum ist es notwendig, diese Diskussion zu führen über den Gegensatz zwischen zwei Kulturen? Weil hinter unserer Zivilisation Homer steht, und Sokrates, und Platon, Aristoteles, Herrgott! Das Antike Griechenland mit seinem Parthenon und seiner Entdeckung der Demokratie. Das Antike Rom mit seiner Größe, seinem Rechtswesen, seinen Skulpturen, seiner Literatur und Architektur, den Palästen und Amphitheatern, seinen Aquädukten, den Brücken, den Straßen. Es gibt einen Revolutionär, jenen Christus, der am Kreuz gestorben ist, der uns die Idee von Liebe und Gerechtigkeit näher gebracht hat (auch wenn wir sie nicht gelernt haben). Zugegeben, es gibt auch eine Kirche, die die Inquisition gebracht hat. Die tausendfach gefoltert und auf den Scheiterhaufen verbrannt hat, zugegeben. Jahrhunderte lang unterdrückt hat und uns gezwungen, nur Jesus-Figuren und Madonnen zu malen und zu formen, und beinahe Galileo Galilei umgebracht hätte. Sie haben ihn beleidigt und zum Schweigen gebracht. Aber sie hat auch zur Ideengeschichte viel beigetragen - oder etwa nicht? Aber hinter unserer Zivilisation auch die Renaissance. Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael, die Musik von Bach und Mozart und Beethoven, bis herauf zu Donizetti, Verdi und Co. Jene Musik, ohne die wir nicht leben können und die in ihrer Kultur oder vermeintlichen Kultur verboten ist. Wehe Dir, wenn du ein Liedchen pfeifst oder den Chor von Nabucco. (...) Und nun die fatale Frage: Hinter der anderen Kultur, was steht da? Wenn ich noch so sehr suche, finde ich nur Mohammed mit seinem Koran und Averoes (Ibn Ruschd) mit seinen Verdiensten als Gelehrter (seine Kommentare zu Aristoteles u.a.). Arafat findet vielleicht noch die Zahlen und die Mathematik. [...] Also: Wie halten wir es mit der Logik des Auge-um-Auge, Zahn-um Zahn? Wir halten wir es mit dem Chador oder dem Schleier, der das Gesicht der muslimischen Frauen verdeckt, so dass diese Unglücklichen für einen flüchtigen Blick zu jemand anderen durch ein dichtes Netz vor ihren Augen sehen müssen? Wie halten wir es mit der Polygamie oder mit dem Prinzip, dass Frauen weniger gelten als Kamele, dass sie nicht zur Schule gehen sollen, nicht zum Arzt, sich nicht fotografieren lassen usw.? Wie halten wir es mit dem Verbot alkoholischer Getränke und mit der Todesstrafe für jene, die sie trinken? Auch das steht im Koran. Und es erscheint mir nicht besonders richtig, brüderlich, friedlich. Hier also die Antwort auf die Frage der zwei Kulturen. Auf der Welt ist Platz für alle, sage ich. Bei sich zuhause sollen alle tun, was sie wollen. Und wenn die Frauen in einigen Ländern so blöd sind, dass sie den Chador oder Schleier akzeptieren und das enge Netz vor ihren Augen - um so schlimmer für sie. Wenn sie so dämlich sind, zu akzeptieren, dass sie nicht zur Schule können, nicht zum Arzt, schlimm für sie. Wenn sie so albern sind, einen Idioten zu heiraten, der vier Frauen will, um so schlimmer. Wenn ihre Männer so duselig sind, kein Bier und keinen Wein zu trinken, ebenso. Ich werde es ihnen nicht verbieten. Das fehlte noch. Ich bin erzogen worden mit der Idee von Freiheit, meine Mutter sagte: "Die Welt ist schön, weil sie vielfältig ist". Aber wenn sie sich anmaßen, diese Dinge mir aufzuzwingen, bei mir zuhause ... Und sie maßen es sich an. Usama Bin Laden ist der Ansicht, dass der gesamte Planet moslemisch werden muss, dass wir uns zum Islam bekehren müssen, dass er uns, ob wir wollen oder nicht, bekehren wird, und zu diesem Zweck wird es uns weiterhin massakrieren. Und das kann uns nicht gefallen. Nein. Wir müssen versuchen, den Spieß umzudrehen: ihn umzubringen. Aber die Probleme werden durch den Tod Bin Ladens nicht gelöst. Weil es zig, tausende Bin-Laden gibt, nicht nur in Afghanistan oder den anderen arabischen Staaten. Sie sind überall, und die aggressivsten leben ausgerechnet im Westen. Der Kreuzzug ist seit langem in Gang. Er funktioniert wie eine Schweizer Uhr, getragen von einem Glauben und einer Heimtücke, die nur mit jener von Torquemada zu vergleichen ist, als er die Inquisition anführte. Mit ihnen zu verhandeln ist unmöglich. Zu argumentieren, undenkbar. Ihnen mit Nachsicht oder Toleranz zu begegnen oder mit Hoffnung, wäre Selbstmord. Wer das Gegenteil glaubt, täuscht sich. Oriana Fallaci, geboren 1930 in Florenz, ist in einer antifaschistischen Familie aufgewachsen und hat selbst im Widerstand gegen Mussolini gekämpft; nach dem Krieg avancierte sie durch eine Vielzahl von Interviews mit politischer Prominenz - von Kissinger bis Arafat, von Brandt bis Kohomeini zum Medienstar; die Bestsellerautorin ("Ein Mann", "Brief an ein nie geborenes Kind") lebt heute in Manhatten, New York. "Corriere della Sera", Originaltitel des Essays: "Die Wut und der Stolz" * nicht nur in den zwischen Bewunderung und Verachtung oszillierenden LeserInnen-Spalten des "Corrierre": Eugenio Scalfari, die liberale Stimme in der italienischen Publizistik, Gründer und langjähriger Direktor der "Repubblica" schrieb in einem Kommentar: "Die Thesen der Falacci sind dieselben wie jene von Le Pen, der sich allerdings mit Sinn für politische Oppotunität, derzeit in Schweigen hüllt". (DER STANDARD, Printausgabe 3.10.2001)