Heidelbeerknödel vom tschechischen Koch im Dörfchen Bedrichov sind der Lohn für die Strapazen des Tages, und dazu kommt auch noch eine saftige Portion gutes Gewissen. Immerhin dient der eher exzentrische Urlaub im "Schwarzen Dreieck" Tschechiens ja einem guten Zweck. Der Wiedererstarkung der vom sauren Regen ramponierten Fichtenwälder sollen all die Wasserproben und peniblen Vermessungen gefangener Forellen dienen, und statt auf Pilze und Beeren haben es die Spaziergänger auf das Sammeln von Sauerstoff- und ph-Werten abgesehen. Zwanzig Flüsse und zahlreiche Seen werden dafür rund um die Jizera-Berge abgeklappert. Dazu kommt auch noch das Ausheben von Bodenproben, die allabendlich, und unter Anleitung des "Reiseleiters" Dr. Josef Krecek, ausgewertet werden. Und zwar gleich neben der geliebten Heidelbeerknödel-Küche, im improvisierten Laboratorium im Bedrichover Hotel. Herr Krecek ist ein Routinier. In Nordindiens Uttar Pradesh, in Chinas Hunan und in Iran hat der Forscher die hydrologischen Auswirkungen von menschlicher Umweltbeeinflussung untersucht, er gilt seit Jahren als viel beschäftigte Autorität auf seinem Gebiet. Aber auch beim Projekt "Earthwatch" war er ganz vorne dabei. Erste Feldstudien der übersäuerten tschechischen Wälder führte er bereits im Jahre 1991 und mithilfe von interessierten Earthwatch-Urlaubern durch. Damals war die europäische Niederlassung der 1973 in Boston gegründeten, dem Schutz der Umwelt gewidmeten Non-Profit-Organisation Earthwatch gerade ein Jahr alt. Oxford wurde als Europa-Basis gewählt, neben weiteren Koodinierungszentralen in Australien und Japan - Knoten eines weltumspannenden Netzes, das sich der Vermittlung von Freiwilligen zur Mitarbeit an wissenschaftlichen Projekten verschrieben hat. Ein tieferes Verständnis für das Ineinandergreifen der vielfältigen kulturellen und ökologischen Prozesse soll damit erzielt werden - und für die Teilnehmer eine Möglichkeit der sinnvollen, aber strapaziösen Urlaubsgestaltung. Denn anstrengend gestaltet sich der Alltag an der Seite renommierter Wissenschafter mitunter schon, egal ob man dabei nach Dino-Knochen in Wyoming buddelt oder auf Great Abaco, Bahamas nach Walen und Delphinen Ausschau hält. Achtstündiges Schaukeln an der Wasseroberfläche beansprucht Letzteres, nur mit Feldstecher und Unterwassermikro ist man bewaffnet. Die Liste der Projekte, die Earthwatch-Helfern in aller Welt offen stehen, ließe sich noch lange fortführen. Allein die new project arrivals für die Jahre 2001/2002 erinnern da an das Blättern im Bilderbuch der Abenteuerreisen. Krokodile im afrikanischen Okawango-Delta, Amerikas Berglöwen, Manitobas Polarbären, die Korallenriffs der Virgin Islands, die Vogelwelt der baltischen Sümpfe oder die archäologische Erforschung der Ursprünge des kambodschanischen Königreiches von Angkor stehen neben anderen Projekten auf der Neuigkeiten-Liste. Seit der Gründung wurden rund 62.000 Helfer für 1850 verschiedene Feldforschungsprojekte in 118 Ländern vermittelt. Kaum eine Klimazone zwischen Antarktis, Regen- und tschechischem Fichtenwald, die nicht regelmäßig Earthwatch-Teams beherbergt. Gegenwärtig sind es 130 Projekte in 45 Ländern, wobei die Projekte den Bereichen Gefährdete Ökosysteme, Meereskunde, Archäologie, Weltgesundheit, Kulturelle und biologische Vielfalt zugeordnet werden. Das hat sich auch aufseiten der Wissenschaft herumgesprochen. Rund 400 Anfragen erreichen Earthwatch pro Jahr - stets geht es um die Rekrutierung von Helfern für arbeitsintensive Projekte. Neben mehr als sechs Millionen Arbeitsstunden wurden dabei aber auch 44 Millionen Dollar umgesetzt, denn schließlich lässt sich der Urlaub als Hobbywissenschafter ja wie jeder andere buchen, mit durchschnittlichen Kosten von öS 25.000 / EURO 1817 für die ein- bis dreiwöchige Mitarbeit. Und die Merchandising-Palette mit Outdoor-Bekleidung samt handgesticktem Earthwatch-Emblem verleiht den Teilnehmern einen Hauch Freizeit-Indiana-Jones. Es gibt auch diverse Schnupperangebote - die so genannten Discovery Weekends. Da wird etwa das Sammeln glibberiger Algen, unter dem Decknamen Botany Workshop, in Großbritannien und Irland (30. 11-2. 12) angeboten, oder das Fangen von Gelbnackenmäusen im englischen Wytham Woods (30. 11-5. 12.). Die Devise kann da nur lauten: Zugreifen! Robert Haidinger Der Standard/Rondo/11.10.01