Literatur
Misslungene Spurensuche
Maurizio Testa bleibt zwischen Simenon und Maigret auf der Strecke
Dass sich Kunstfiguren auf die Suche nach ihrem Schöpfer machen, ist ein hübsches,
wenn auch nicht gerade neues Thema. Entscheidender scheint trotzdem, was sich
aus diesem Stoff zwischen Fiktion und Recherche an spannenden Momenten ergibt.
Bei näherer Betrachtung wird sich der Blick hingegen auf eine andere Frage
konzentrieren: nämlich auf das Verhältnis von drei Wirklichkeiten, jener der Realität,
jener der Wahrnehmung und schließlich jener des künstlerischen Umgangs damit.
Und keine Frage (diesmal): Es ist evident, dass diesem Beziehungstriangel
kriminologische Aspekte innewohnen.
In einem der frühen und berühmten Beispiele, in Hans Christian Andersens
Schattenmärchen, bringt das Geschöpf des Autors, der Schatten, seinen Herrn und
Schöpfer um Kopf und Kragen. Der Schein erledigt die Realität; der Dichter wird
bezeichnenderweise aufs Schafott geführt. Kopf ab. Im Fall Maigret - Simenon ist es
anders.
Denn tatsächlich ganz anders kopflos der Autor Maurizio Testa (pikanterweise), der
zwischen Simenon und dessen Kunstfigur Maigret auf der Strecke bleibt. Das Spiel
des (in seinem Hauptberuf) Cheflektors eines Electronic-Publishing-Verlags geht
nicht auf. Weder ist er ein begnadeter Aufdeckungsjournalist, noch schlägt er andere
Funken aus seinem Stoff. Ein witzloses Buch. Wenn Maigret von seinem
Untersuchungsrichter - auf Geheiß höchst einflussreicher Regierungskreise - den
Auftrag erhält, dem berühmten und längst verstorbenen Schriftsteller Georges
Simenon nachzuspüren, so aus einer Ursache: Georges Simenon - wie es die skurrile
wie unschlüssige Fiktion des erklärten Simenon-Fans Testa unterstellt - soll zum
Aushängeschild französischer Kulturpolitik gemacht werden. Aber man will keine
unliebsamen Überraschungen erleben.
Zweierlei Aufgaben warten also auf den Bonvivant alter französischer Schule, sprich:
das Klischee des strengen, aber väterlichen Kommissars. Maigret soll den
Lebenswandel des verstorbenen Krimi-Idols unter die Lupe nehmen. Schließlich steht
er unter dem Verdacht, mit den Deutschen während des 2. Weltkriegs kollaboriert zu
haben, und der berühmte Autor hat - trotz des Angebots, die französische
Staatsbürgerschaft zu erhalten - darauf bestanden, Belgier zu bleiben. Weiters
kommen hinzu: seine berüchtigte Geschäftstüchtigkeit, die zahllosen und anrüchigen
Frauengeschichten, der häufige Wechsel des Wohnorts nicht nur in Frankreich,
sondern auch in den USA und schließlich in der Schweiz (wovor ist er auf der Flucht
gewesen?); und zu guter Letzt die fast schon beängstigende Vielschreiberei.
Und darauf bezieht sich die zweite Aufgabe des darob schnaubenden Kommissars: Er
soll auch literarische Werteinschätzungen erheben, denn man wisse ja, wie subjektiv
und von welchen Animositäten angekränkelt einschlägige Urteile ausfallen. Maigret
als unparteiischer Schiedsrichter in einem Spiel, das er nicht versteht. Und nicht
verstehen will. Eine nebbich Objektivität, der Testa (selbst Vater der Fiktion) offenbar
seine Meinung überantwortet. Aber auch anders betrachtet: Was als Zeittotschlag
während der Stunden des Wartens in Arztpraxen noch einen ungewissen
Unterhaltungswert haben mag - nämlich das Lesen in der Regenbogenpresse - das
hat ausgewälzt auf Romanformat jeden Reiz verspielt. Der alterslos alte Maigret, der
sich zum Ausgleich für seine Mühen mit diversen Spezialitäten den Bauch voll schlägt
und die Leber belastet, schleppt sich, anders als es seine Rolle vorsehen würde, nur
wenig spritzig und eher lustlos durch die Ermittlungen. Der Leser mit ihm. Und
schließlich greift selbst Testas Maigret, den ursprünglichen Widerwillen gegen
Simenon in steigendes Interesse kehrend, zu einem Roman, der im Titel seinen
Namen trägt. Vielleicht kein schlechter Ratschlag an die Leser. Wenn schon, dann
gleich zum Schmied.
( Von Martin Adel - DER STANDARD, Album, 27./28.
10.2001)