"Flucht und Migration 1938 und heute in Österreich und Frankreich" - Eine Ansichtssache zur Ausstellung


Adele Kurzweil(zweite von rechts) wurde am 31. Jänner 1925 als Tochter von Bruno und Gisela Kurzweil in Graz geboren. Ihre Eltern waren beide jüdischer Herkunft, 1926 waren aber mittlerweile alle drei aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten.

Ihr Vater Bruno Kurzweil war Rechtsanwalt und bereits seit seiner Studienzeit innerhalb der sozialdemokratischen Bewegung aktiv. Seine Arbeit und sein Engagement in der Kanzlei von Dr. Arnold Eisler (Anwalt und mehrfacher Funktionär der Steirischen Sozialdemokratischen Partei), er hatte viele Fälle gegen die Nationalsozialisten bestritten, machten ihn über die Grenzen der Steiermark hinaus berühmt. Leider auch bei den Nationalsozialisten.

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Adele und ihre Familie

wohnten in der Kirchengasse (heute: Schröttergasse), zusammen mit dem bekannten steirischen Architekten Herbert Eichholzer, der 1938 auch nach Frankreich emigrieren sollte.

Ebenso besaßen sie eine Gartenparzelle in der Strauchergasse, zusammen mit der Familie von Moritz Robinson, dem Chefredakteur der Zeitung "Arbeiterwille".

Die Familie Kurzweil war eine durchaus wohlhabende Familie, was sicher mit der großen Anzahl von Kurzweils Klienten, darunter die "Freie Gewerkschaft" in der Steiermark und die Stadtverwaltung Graz, zusammen hing.

(Foto: Mary Robinson und Adele Kurzweil im gemeinsamen Garten)

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Über Adeles Zeit in Graz

ist leider wenig bekannt. Sie besuchte bis 1938 das Franz Ferdinand Oberlyzeum in der Sackstraße (im heutigen Stadtmuseum) und konnte dort 1938 auch ihr Schuljahr beenden.

Auch wenn sie bis zu diesem Zeitpunkt wenig Bezug zum Judentum gehabt hatte, wurde sie nun als Jüdin ausgegrenzt. Doch in Tagebuch-Aufzeichnungen nach konnte sie mit der Unterstützung ihrer Mitschülerinnen und ihrer Lehrerin immer rechnen.

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Im Juni 1938

erhielt Bruno Kurzweil ein Schreiben der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer, das ihm "die Ausübung (seines) Berufes vorläufig untersagt".

Somit war der Zeitpunkt gekommen, das Deutsche Reich so schnell wie möglich zu verlassen. Nicht nur sein früheres Engagement für die Sozialdemokratie, auch seine jüdische Herkunft machte dies unumgänglich.

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Das "Verzeichnis über das Vermögen von Juden",

das Kurzweil im Juli 1938 unterschreibt, führt als Besitztümer der Familie neben der Gartenparzelle noch Wertpapiere, Spareinlagen und Versicherungspolizzen an. Nun geht alles ganz schnell.

Anfang August sucht er beim Französischen Generalkonsulat um ein Visa für sich und seine Familie an, im September erhalten sie schon die Pässe. Ebenso die Bestätigung, dass die Familie keine finanziellen Ansprüche mehr besitze ...

Anfang Oktober des Jahres überschreiten sie die Grenze zur Schweiz und schon drei Wochen später werden sie in Paris in 55 rue de Compans registriert.

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In Paris gelingt es,

wieder die Bänder zu den ÖsterreicherInnen zu knüpfen. Bruno Kurzweil schließt sich der "Auslandsvertretung der österreichischen Sozialisten" an und publiziert Aufsätze über "Recht unter dem Nationalsozialismus" in der von ihnen herausgegebenen Zeitung "Sozialistischer Kampf". Außerdem wird er Hörer an der "Alliance France".

Gisela Kurzweil absolviert einen Kurs zur Diplom-Masseurin und auch Adele kann sich wieder ein soziales Leben aufbauen. Sie wird zusammen mit vielen anderen Kindern bekannter österreichischer SozialdemokratInnen Mitglied in der Rote Falken-Gruppe "Freundschaft".

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Doch die Lage

verschlechtert sich erneut. Als im September 1939 die Deutsche Wehrmacht in Polen einmarschiert, wird Bruno Kurzweil als "feindlicher Ausländer" in das Lager Meslay-du-Maine gebracht, Adele muss in ein Heim für jüdische Flüchtlingskinder in Montmorency ziehen. Zwischen ihrer Mutter, die allein in Paris zurückbleiben musste, und Adele entwickelt sich ein reger Briefverkehr, der viel über die immer restriktivere Atmosphäre dieser Zeit erzählt.

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Im Februar 1940

wird Bruno Kurzweil wieder aus dem Lager entlassen und infolge in der "Zentralvereinigung österreichischer Emigranten" aktiv. Diese beschließt dann im Mai, nach dem Einmarsch Nazi-Deutschlands in Holland und Belgien, in den Süden von Frankreich zu gehen, nach Montauban.

Im Juni erhält auch die Familie Kurzweil ihren Passierschein, einen "Sauf Conduit Collectif" und wird in Montauban kurz darauf als Flüchtlinge aus Paris registriert.

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Und auch hier engagiert sich

Bruno Kurzweil für die in Montauban Lebenden oder in Internierungslagern Festgenommenen. Zusammen mit Joseph Buttinger organisiert er Geld und Ausreisevisa, doch leider schafft er das nicht mehr für sich und seine Familie.

(Foto: Tafel in Synagoge)

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Im Juni 1942

kommt es in Paris zu Razzien und 12000 ausländische Juden und Jüdinnen werden verhaftet. Am 26. August 1942 werden 170 Personen in Auvillar nahe Montauban festgenommen, ins Camp de Septfonds überstellt und am 9. September nach Ausschwitz deportiert und ermordet. Darunter auch Bruno, Gisela und Adele Kurzweil.

Fast zeitgleich fängt sich die Stadt Graz für die Familie Kurzweil zu interessieren an, für ihr Vermögen versteht sich. Nach kurzen Erhebungen kam diese dann zu folgendem Schluss: "Auf Grund der Aberkennung der Deutschen Staatsangehörigkeit (...) wird das Eigentumsrecht zugunsten des Deutschen Reiches (Reichsfinanzverwaltung) einverleibt."

(Foto: Tafel in Schule von Adele)

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Und es sollte bis 1990 dauern,

bis ihre Spur wieder auftauchte, als auf der Polizeistation von Auvillar einige Koffer der Familie Kurzweil gefunden wurden.

Die Ausstellung von 05. - 23. November in der Synagoge in Graz sowie das dazugehörige Buch (130 Seiten, über 70 Abb., Preis: 11 Euro) sind die Endprodukte einer einjährigen Projektarbeit mit 16 Grazer Jugendlichen und lange Recherchetätigkeit zahlreicher engagierter Menschen in Österreich und Graz.

dieStandard.at bedankt sich beim Verein Clio und Heimo Halbrainer, sowie dem Korso und Christian Stenner.

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