Kapstadt - Puppen und Kuscheltiere umlagern das Krankenbett der erst neun Monate alten Tshepang, die vorige Woche Opfer einer besonders grausamen Vergewaltigung wurde. Sechs Männer im Alter von 22 bis 66 Jahren haben das Kleinkind brutal misshandelt. "So etwas macht kein Tier", titelte eine südafrikanische Tageszeitung. Aus dem ganzen Land kommen Päckchen mit Spielzeug ins Krankenhaus nach Kimberley, wo das Baby behandelt wird. Ein spontan eingerichteter Hilfsfonds soll die bestmögliche Therapie finanzieren. Zwar erhole sich Tshepang von dem Schock, sagen die Ärzte, und auch die Verletzungen heilen, aber welche seelischen Schäden zurückbleiben werden, ist nicht abzusehen. "Erst wenn sie älter wird, können wir sehen, ob sie das Trauma verarbeitet", erläutert der medizinische Direktor des Krankenhauses. "Die Mehrheit schweigt" Es ist der bisher abscheulichste Fall in einer Serie von Kindesmisshandlungen, die seit Wochen in Südafrika Schlagzeilen machen. Immer mehr Menschen sind schockiert über das Ausmaß an Gewalt gegenüber Frauen und Kindern, zumeist in der eigenen Familie. In Kettenbriefen, die per E-Mail kursieren, schildern sie ihre Fassungslosigkeit und sammeln Unterschriften für eine schärfere Strafverfolgung der Täter. "Solche Taten können nur geschehen, wenn die Mehrheit schweigt", heißt es in einem der Briefe. Tatsächlich wurde das Thema Vergewaltigung bisher heftig verdrängt und verschwiegen. Das wahre Ausmaß beschreibt die südafrikanische Menschenrechtskommission in einem noch unveröffentlichten Bericht. Demnach gab es in den vergangenen 18 Monaten mehr als 30.000 Fälle von Kindesmisshandlungen, die meisten davon Vergewaltigungen. Anneke Pienaar, Leiterin der Polizeieinheit zum Schutz von Kindern, sagt, es sei schwierig, die Verbrechen aufzudecken, weil sie "ausnahmslos" in den eigenen vier Wänden geschähen. Bisher hat auch die Justiz das Problem ver- harmlost. Oft glauben die Richter nicht den Aussagen der Opfer. Nach den jüngsten Gräueltaten hat der Justizminister härtere Strafen angekündigt, Anfang dieser Woche wurde erstmals lebenslange Haft gegen einen Vergewaltiger verhängt - das Opfer ist ein siebenjähriges Mädchen. Immer mehr Menschen fordern sogar die Wiedereinführung Todesstrafe für solche Täter. Aidsinfektionen Eine Art Todesurteil ist die Vergewaltigung für viele der jungen Opfer, denn die Täter sind häufig HIV-positiv. Auch bei dem Baby wird eine Infektion befürchtet. Kinderschutzorganisationen warnen, dass der zunehmende Missbrauch Minderjähriger auch mit einem weit verbreiteten Aberglauben zusammenhängt, ein Mann könne sich vor Aids schützen, wenn er mit einer Jungfrau schläft. Umstrittene Versicherung bei Vergewaltigung Inzwischen bieten zwei Firmen eine Versicherung an, die im Vergewaltigungsfall den Opfern eine kostenlose Behandlung mit Aidsmedikamenten und Übernahme der Behördenkosten garantieren soll. Der vernichtende Kommentar dazu von Nicole Barlow, Vorsitzende der Koalition für Kinderrechte: "Das zeigt nur, wie sich das Land an Vergewaltigungen gewöhnt hat." (Susanne Bittorf, DER STANDARD Print-Ausgabe 9.November 2001)