Doha - Erstmals seit einem Vierteljahrhundert droht den drei größten Wirtschaftsmächten der Welt, den USA, der EU und Japan, gleichzeitig eine Rezession. Der Welthandel dürfte heuer nur noch um zwei Prozent wachsen, nach zwölf Prozent im Jahr 2000. Die Terroranschläge vom 11. September haben der ohnehin stockenden Weltkonjunktur einen zusätzlichen schweren Dämpfer versetzt. Besonders hoch ist daher der Erfolgsdruck, der auf der heute am Persischen Golf in Doha, Katar, beginnenden vierten Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) lastet. Die EU und die USA erhoffen sich Wachstumsimpulse aus einer neuen Liberalisierungsrunde für Waren, Dienstleistungen, Investitionen und geistigem Eigentum. Ein Scheitern von Katar "darf es nicht geben", sagt Wirtschaftsminister Martin Bartenstein. "Das wäre das Ende der WTO und ein Rückfall in den Protektionismus. Das kann sich ein Land wie Österreich, in dem mehr als ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes vom Export abhängt, nicht leisten." Erfolg ungewiß

Obwohl es in Doha nur um den zeitlichen und thematischen Rahmen für Marktöffnungsschritte in den nächsten drei bis fünf Jahren geht und inhaltliche Details kaum gestreift werden, ist ein Erfolg der Konferenz höchst ungewiss. Die meisten Entwicklungsländer wollen erst die Früchte aus der Uruguay-Runde (1986 bis 1994) ernten.

Sie fühlen sich als Verlierer der Globalisierung und wollen offene Märkte für ihre Exporte, keinesfalls aber über Kinderarbeit, Umweltauflagen oder Menschenrechte diskutieren. Immer wieder äußerten Indien, Malaysia oder 30 von Tansania vertretene afrikanische Staaten ihre Vorbehalte.

Doppelmoral Europas und der USA

Die Entwicklungsländer, die rund 100 der 142 WTO-Mitglieder stellen, prangern die Doppelmoral Europas und der USA an, die selbst ihre Agrarmärkte abschotten oder wie derzeit die USA ihre Stahl-und Flugzeugindustrie einseitig protegieren. Zwischen 1960 und 2000 ist der Welthandel von 120 auf 6360 Mrd. US-Dollar gewachsen, die Verteilung des Welteinkommens habe sich zuungunsten des ärmsten Fünftels der Menschheit verschoben.

Seit Seattle, als die letzte WTO-Konferenz Ende 1999 in einer Wolke aus Tränengas unterging, hat der Richtungsstreit um die Zukunft des Freihandels immens an Schärfe gewonnen. Die Antiglobalisierungsbewegung Attac hat regen Zulauf. Österreich-Vertreter Christian Felber sagt: "In der WTO werden die Hauptbedürfnisse der unterentwickelten Welt ignoriert. Afrika ist seit 20 Jahren in der Rezession. Wir brauchen keine neue WTO-Runde, sondern eine Nachdenkpause." Nur der Westen profitiert

Auch der frühere Chefökonom der Weltbank und diesjährige Wirtschaftsnobelpreisträger, Joseph Stiglitz, meint, dass von der letzten Freihandelsrunde der Westen in unverhältnismäßiger Weise profitiert habe. "In Wirklichkeit hat die Liberalisierung des Handels zu einer Verschlechterung der Volkswirtschaften in vielen Entwicklungsländern geführt, denn sie hat sie der Unsicherheit der internationalen Märkte ausgesetzt."

Sinnvoller als neue Vorschriften sei daher die Bereitstellung von Ressourcen für die unterentwickelte Welt, die es armen Staaten ermöglichten, die Sozial- und Ökostandards freiwillig zu erfüllen, meint der Großspekulant und Philantroph George Soros. Die EU hat verbesserte Absatzchancen für Agrarprodukte aus Entwicklungsländern und 50 Mio. EURO für die Umsetzung von Uruguay-Verpflichtungen in Aussicht gestellt.

Für den Fall, dass Katar scheitert, wurde ein Punkt auf der Agenda sicherheitshalber im Vorfeld abgehakt: China wird offiziell als 143. Mitglied in der WTO begrüßt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.11.2001)