Wien/Prag - "Dies gehört nicht zu den Beitrittsverträgen." Der tschechische Außenminister Jan Kavan lehnt die Forderung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (VP) ab, die Ergebnisse des "Melker Prozesses" (siehe Wissen) in den Beitrittsvertrag Tschechiens zur EU aufzunehmen. Der Außenminister kann sich aber nach eigenen Worten eine "gewisse Form der Verflechtung des Abschlussvertrages über den Melker Prozess mit dem Energiekapitel bei den tschechischen Beitrittsverhandlungen mit der EU" vorstellen. "Wir sind darüber einig, dass es im Interesse beider Länder ist, die so genannte ,road map' mit der EU einzuhalten, die noch für dieses Jahr mit dem Abschluss des Energiekapitels rechnet", sagte Kavan. Dieses Kapitel könne man nicht ohne einen erfolgreichen Abschluss des Melker Prozesses beenden. FP fühlt sich gefrotzelt Die Erklärung Kavans löste bei der FPÖ Empörung aus. Klubobmann Peter Westenthaler sprach von einer "unerträglichen Provokation Tschechiens". Diese Vorgangsweise widerspreche allen Vereinbarungen und stelle eine "einseitige Aufkündigung des Dialogs und eine Frotzelei gegenüber Österreich" dar. Der "Provokation" Prags müsse man eine Abfuhr erteilen, bekräftigte Westenthaler, dass Tschechien "mit diesem Pannenreaktor" sicher nicht Mitglied der EU werden könne. Wenig mit der von Schüssel eingeschlagenen Strategie kann auch die SPÖ anfangen. "Der Bundeskanzler konzentriert sich auf Verfahrensfragen. Unbeantwortet bleiben aber die Sicherheitsfragen", kritisierte SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer. "Das löst die verfahrene Situation nicht." Die Regierung habe einen eindeutigen Auftrag vom Parlament und sei nicht in der Lage, diesen zu erfüllen. "Wir verlangen Antworten auf die Sicherheitsfragen, nicht Ausflüchte." Im Übrigen könne die Opposition nicht jedes Problem für die Regierung lösen. SP-Klubobmann Josef Cap sieht keine Eile für den Abschluss des Energiekapitels: "Wir haben ausreichend Zeit", sagte Cap, "das ist keine Verzögerung des Gesamtfahrplanes" und auch keine vetoähnliche Aktion. Einen Abschluss des Energiekapitels könne es ohne Ausstiegsoption nicht geben. Der Regierung warf Cap Untätigkeit vor. VP strikt gegen ein Veto Die ÖVP habe, konterte Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat, im Gegensatz zur SPÖ viele erfolgreiche Initiativen gegen Temelín gesetzt. Sie zeigte sich verwundert, wo denn der Unterschied zwischen einem Nichtabschluss des Energiekapitels und einer Veto-Drohung liege. Für die ÖVP komme ein Veto gegen einen EU-Beitritt Tschechiens nicht infrage: "Vetos bringen uns nicht weiter." Anders der Koalitionspartner FPÖ: Westenthaler hofft auf starke Unterstützung für das Anti-Temelín-Volksbegehren der FPÖ. Der logische Schluss daraus könne nur sein: Nein zu Temelín, das Kraftwerk sei irreparabel. VP-Klubchef Andreas Khol sieht die Koalition trotz der Differenzen nicht in Gefahr. Die Regierung habe noch "so viel Arbeit", dass man "wahrscheinlich am letzten möglichen Tag 2003" wählen werde. Die Grünen hoffen, dass bei einem Vier-Parteien-Gespräch am Montag eine gemeinsame Linie errungen wird. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 10.11.2001)